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Linke wollen reale Alternative sein

erschienen in Clara, Ausgabe 4,

Der italienische Parlamentspräsident Fausto Bertinotti ist Kommunist und freut sich auf die erstarkte deutsche Linke in Europa

Der Kontakt der deutschen Linken zu politischen Weggefährten in Europa besteht in viele Länder. Seit Jahrzehnten gehören die italienischen Linken auch dazu. Die Südeuropäer haben eine Mitte-Links-Regierung gebildet und stellen mit Fausto Bertinotti den Parlaments-präsidenten. Zur EU-Verfassungskonferenz der Linksfraktion im Frühjahr war dieser ein gefragter Gast.

Welchen Eindruck haben Sie von der internationalen EU-Verfassungskonferenz, die die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag organisiert hat?

Es hat mich beeindruckt, dass die Veranstaltung zeitgleich zur Debatte des Bundestages über den Tornado-Einsatz in Afghanistan und die Anhebung des Rentenalters stattfand. Mich hat die Verbindung zwischen der Debatte über die Perspektiven der Linken in Europa und dem konkreten Alltag von Millionen Menschen fasziniert. Man muss verhindern, dass sie wie bisher weiter die größten Opfer der Umstrukturierung der kapitalistischen Wirtschaft sein werden.

Was denken Sie über die Verschmelzung der Linken durch die Entstehung einer neuen Partei in Deutschland?

Wir haben schon immer mit sehr großer Sympathie diesen Prozess verfolgt. Nach meiner Auffassung kann die Entstehung der geeinten Linken in Deutschland die gesamte Linke in Europa positiv beeinflussen. Die Europäische Linke zählt sehr auf die deutsche Linke, auf ihre politische Arbeit. Der Vereinigungsprozess, durch den in Deutschland eine stärkere und zukunftsfähigere alternative Linke entsteht, ist eine Ermutigung für uns alle. Die Linke braucht eine neue politische Kultur, damit wir zusammen eine alternative, breitere, bedeutendere Kraft aufbauen können,
die in der Lage ist, Europa zu verändern.

Was sind die dringenden Aufgaben der Linken in Europa?

Vor allem denke ich, dass die Linke sich erneuern und verändern soll, damit sie sich mit den sozialen Organisationen und Bewegungen, vor allem mit den Arbeiterbewegungen, den Jugend-, Frauen- und Migrantenbewegungen verbünden kann.
So können wir gemeinsam die notwendige Kraft entwickeln, um unsere Gesellschaften und Europa grundlegend zu verändern, und ein alternatives soziales und wirtschaftliches Modell zu schaffen. Ich meine damit eine alternative Gesellschaft, die sich von Kriegspolitik und Neoliberalismus endgültig abkehrt. Mein Traum ist also eine Linke, die nicht nur Forderungen stellt, sondern in der Lage ist, reale Alternativen zu bieten.

Wie kann man denn so was zustande bringen?

Nach der französischen Präsidentschaftswahl ist es umso notwendiger, uns mit dem Problem der Glaubwürdigkeit einer alternativen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Auch das französische Beispiel zeigt, dass Politik in eine Krise geraten ist, dass das Verhältnis zwischen Bürgern und Institutionen beschädigt ist und dass eine neue politische Kultur deshalb dringend gebraucht wird. Dem wachsenden Erstarken der Rechten kann nicht durch ein Ausweichen des linken Lagers in die Mitte begegnet werden: Denn die besorgniserregendste Gefahr besteht gerade in der Verschiebung des Gemeinsinnes nach rechts. Das ist nur durch ein alternatives Gesellschaftsprojekt zu verhindern. Wir brauchen eine starke kulturelle Offensive und müssen auch in der Gesetzgebung konkrete Lösungen vorschlagen. Deshalb müssen wir die Zusammenarbeit zwischen den Parteien und auch den parlamentarischen Gremien verstärken. Es gilt Erfahrungen und Vorschläge auszutauschen, da viele Fragen im sozialen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, internationalen Bereich, die unsere Länder betreffen, mit europäischen Beschlüssen zu tun haben.

Könnten Sie ein Beispiel einer solchen Zusammenarbeit nennen?

Wir müssten zum Beispiel so schnell wie möglich versuchen, die Einführung einer EU-Richtlinie zur sogenannten Flexicurity, einer weiteren Flexibilisierung des EU-Arbeitsmarktes, zu verhindern. Und in diesem Fall würde der Austausch von alternativen Ansätzen zum Thema Arbeit für uns alle hilfreich sein.

Das Gespräch führte Frank Schwarz
Übersetzung: Paola Giaculli