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Like Bernie Sanders

Von Stefan Liebich, erschienen in Clara, Ausgabe 40,

Im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf offenbart sich ein stark verunsichertes Land, meint Stefan Liebich

Es ist knapp ein Jahr her, da traf ich im Fahrstuhl des Axel-Springer-Hochhauses in Berlin den ehemaligen US-Außenminister James Baker. Da wir auf dem Weg zur selben Veranstaltung waren, stellte ich mich vor. Auf die Nachfrage zu meiner Parteizugehörigkeit antwortete ich: »The Left.« Das kommentierte er prompt mit dem Ausruf: »Ah, Social Democrat!« Ich erläuterte, dass unsere Partei im politischen Spektrum links von der SPD einzuordnen sei und fügte hinzu: »I’m a democratic socialist. Like Bernie Sanders from Vermont.« Betretenes Schweigen. Keiner von uns ahnte, dass im Ringen um die Wahl des 45. US-Präsidenten jener Senator Sanders eine so herausragende Rolle spielen würde.

Denn zu Beginn dieses Jahres schien noch alles ganz einfach: Der Vorwahlkampf von Demokraten und Republikanern hatte noch nicht begonnen und trotzdem war eigentlich klar, dass die Kandidatin der Demokraten niemand anderes als Hillary Clinton sein würde. Bei den Republikanern schien das Feld zwar deutlich unübersichtlicher, doch einer, da waren sich alle sicher, würde es nicht werden: der Immobilientycoon Donald Trump. Zu polternd, zu selbstverliebt, einfach unpräsidial. Das republikanische Establishment nahm ihn nicht sonderlich ernst, wohl auch wegen seiner unzähligen verbalen Ausfälle. Nur er verstünde, wie der Islamische Staat tickt, eine Mauer wolle er zu Mexiko bauen, den gesamten Nahen Osten zerbomben und keine Muslime mehr ins Land lassen. Jetzt, fünf Monate später, hat er nicht nur das gesamte Bewerberfeld der Republikaner in die Wüste geschickt, sondern auch die notwendigen Delegiertenstimmen für die Nominierung beisammen. Trump wird der nächste Kandidat der Republikaner.

 

Es ist nicht egal, wer Präsident wird

Bei den Demokraten ist es der 74-jährige Bernie Sanders, der die Partei in Aufruhr versetzte. Er sagt von sich selbst, er sei »demokratischer Sozialist«, und begeistert vor allem die Jugend. In einer einzigartigen Spendenkampagne forderte er seine Unterstützerinnen und Unterstützer auf, jeweils 27 US-Dollar zu spenden, und sammelte so mehrere Millionen Dollar ein. Mit seinen Forderungen und seinen Erfolgen in über 20 Bundesstaaten hat er auch die Positionen von Clinton nach links verschoben. Sie unterstützt plötzlich einen höheren Mindestlohn, lehnt das Handelsabkommen TTIP ab und fordert mehr Einkommensgerechtigkeit. Das ist wohl auch der Grund, warum Sanders nicht aus dem Rennen ausgestiegen ist. Er weiß: Je länger seine Positionen öffentlich debattiert werden, desto mehr muss sich Clinton bewegen. Und in Umfragen werden ihm, und nicht Clinton, die besten Chancen eingeräumt, um bei der Wahl im November Trump zu schlagen.

Noch ist völlig offen, wer die Präsidentschaftswahl gewinnt. Viele Wählerinnen und Wähler treffen ihre Entscheidung erst in den letzten Tagen oder gar Stunden. Aus europäischer Sicht steht zumindest fest: Auch wenn kein einziger Kandidat mehr im Rennen ist, der das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP noch unterstützt, ist es für uns nicht egal, wer Präsident der Vereinigten Staaten wird.

 

Stefan Liebich ist für die Fraktion DIE LINKE Obmann im Auswärtigen Ausschuss