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Licht- und Schattenseiten

erschienen in Clara, Ausgabe 24,

In Frankfurt (Oder) schließt der Solarkonzern First Solar sein Werk und setzt 1200 Menschen auf die Straße. Zurück bleibt eine Stadt zwischen Lethargie und Widerstand.

Ein Donnerstag im Mai – die letzten Gäste lassen im Café am Marktplatz in Frankfurt (Oder), unweit des Rathauses, den Arbeitstag ausklingen. Axel Henschke ist einer von ihnen. Er sitzt in einem der Strandkörbe, die das Café aufgestellt hat. Immer mal wieder kommen Leute vorbei und grüßen in den Strandkorb. Als direkt gewählter Landtagsabgeordneter ist Henschke bekannt in der Stadt. Gerade noch hat er in der Stadtverordnetenversammlung über eine Erklärung zur Schließung des Frankfurter Werks des US-Solarkonzerns First Solar beraten.

Als First Solar im April entschied, sein Werk zu schließen, schossen die Aktienkurse des Unternehmens in die Höhe. 1200 Arbeitsplätze sind nach der Entscheidung des Unternehmens in Gefahr. Die Arbeitsagentur hat eigens eine Zweigstelle in den beiden Hallen des Werkes eingerichtet.

Gefragt nach der Stimmung in der Stadt, kommt Henschke ins Grübeln. Er kennt die wechselvolle Geschichte der Stadt: Gleich nach der Wende war das große Frankfurter Halbleiterwerk abgewickelt worden, genauso wie die 8000 Mitarbeiter. Die Zeit des wirtschaftlichen Abschwungs der 1990er Jahre steckte der Stadt noch in den Knochen, als es 2001 mit dem Bau einer Chipfabrik in der Stadt möglich schien, an Frankfurts industrielle Tradition anzuknüpfen. 1,5 Milliarden Euro sollten in die Fabrik fließen. Die Stadt baute gar eine neue Straßenbahnhaltestelle für das entstehende Werk.

Frankfurter Kommunalpolitiker gaben sich vor der Halle die Klinke in die Hand, schnitten Bänder durch. Die Erwartungen waren hoch und wurden jäh enttäuscht. Die Halle wurde nicht in Betrieb genommen, die Geldgeber sprangen ab, die Stadt stand unter Schock. Der Strohhalm, den die Stadt gerade mit so viel Verve ergriffen hatte, knickte weg.

Umso überraschender, wie unspektakulär die Ansiedlung der Solarfirmen dann um das Jahr 2007 erfolgte. Odersun, Conergy und First Solar brachten 2000 Arbeitsplätze in die Stadt. Mittlerweile aber sieht es düster aus: Bei Odersun und Conergy kriselt es. Und First Solar stellt seine Produktion zum 31. Oktober 2012 ein.

Henschke erzählt von einer Begegnung mit einer Französin, die Henschke ungläubig fragte, ob es stimme, dass sie in Frankfurt sei und dass hier gerade ein großes Werk abgewickelt werde. Sie könne das nicht glauben, denn wäre das in ihrer Heimat geschehen, stünden brennende Ölfässer vor dem Werk – und die Mitarbeiter ebenso. Henschke selbst ist erschüttert über die stoische Gelassenheit, mit der die Frankfurter auch diesen Rückschlag hinnehmen.

Was aber bleibt ihnen anderes übrig? Die Stadt ist zum Spielball der großen Politik geworden: Anfang dieses Jahres kündigte die Bundesregierung die Reduzierung der Solarstromvergütung für Häuslebauer und Großanlagenbetreiber an. Den Solarunternehmen liefen die Kunden weg, Aufträge wurden storniert. Eine Solarfirma nach der anderen ging in die Insolvenz. Solon in Berlin und Q.Cells in Thalheim sind nur einige prominente Beispiele. Thomas Nord, direkt gewählter Abgeordneter der LINKEN in der Region um Frankfurt, warnte gar vor einer zweiten Deindustrialisierung des Ostens. Doch die Frankfurter sind auch Opfer des Kalküls eines international agierenden Mega-Konzerns.

Das Land Brandenburg ließ sich die Ansiedlung von First Solar einiges kosten. 47 Millionen Euro strich das Unternehmen an Fördergeldern ein. 27 Millionen davon kamen direkt vom Land. Daran war die Bedingung geknüpft, die Beschäftigten über einen Zeitraum von fünf Jahren zu beschäftigen. Am 31. Oktober 2012 läuft diese Frist endgültig aus – mit der Schließung des Werks.

Die Frankfurter sind die Gehörnten. 90 Prozent der 1200 Arbeiter kommen aus der Region, über 500 aus Frankfurt selbst. Nicht nur das, die Stadt muss jetzt Gewerbesteuerverluste von jährlich 28,5 Millionen Euro verkraften – eine dramatische Summe für einen Stadthaushalt von 220 Millionen Euro. Schon gibt es Meldungen, dass das Unternehmen sogar bereits gezahlte Gewerbesteuern in Millionenhöhe zurückfordern will. Es bleibt eine Stadt zurück mit einer Arbeitslosigkeit von über 14 Prozent, in der fast jeder Vierte als arm gilt, die immer noch unter massiver Abwanderung leidet.

Es scheint, als hätten sich viele in der Stadt damit abgefunden, dass Unternehmen je nach Gusto kommen und gehen. Viele, aber nicht alle: Neels Wied ist Auszubildender als Maschinenanlagenführer im ersten Lehrjahr bei First Solar. Seit dem 1. August 2011 arbeitet er in dem Werk. »Für First Solar entschied ich mich, weil es immer hieß: Gute Zukunftschancen, Übernahme ist garantiert.«

Wied bekam mit 29 anderen einen Ausbildungsplatz. Er überwachte Messwerte und den Ablauf der automatisierten Produktion. 510 Euro bekam er dafür – viel für die Region, aber unter Tarif. Zwei Jahre sollte die Ausbildung dauern. Vom vorzeitigen Ende seiner Ausbildung, also von der Schließung des Werks, erfuhr er aus der Zeitung. »Die Stimmung im Werk ist gedrückt«, erzählt Wied, »die Security kontrolliert die Angestellten des Unternehmens plötzlich viel genauer. Offensichtlich haben sie Angst, dass die Arbeiter hier auf die Barrikaden gehen. Man sagt, es sei erlaubt, sich öffentlich kritisch zu äußern, aber wir sollten doch bitte schön aufpassen, dass uns unsere Äußerungen nicht später auf die Füße fallen.«

Wied und die anderen gingen dennoch selbstbewusst auf die Unternehmensleitung zu. Sie fordern Alternativangebote zu Ausbildungsplätzen, Erstattung von Umzugskosten, Abfindungszahlungen. Wied und seine Kollegen wollen in der Region leben und arbeiten. Auch das hört man in der Stadt selten von jungen Leuten.

Vonseiten der Politik ist die Unterstützung für die Angestellten des Werks teilweise verhalten. Nicht wenige Landespolitiker in Brandenburg haben sich mit dem Muster des Kommens und Gehens von Großunternehmen abgefunden. Eine Ausnahme macht DIE LINKE, die in Frankfurt mit dem Bundestagsabgeordneten Nord, mit Axel Henschke und einer weiteren Landtagsabgeordneten, sowie einem Europaabgeordneten und der stärksten Stadtverordnetenfraktion ihr gesamtes Gewicht in die Waagschale wirft, um die Interessen der Beschäftigten in dieser schwierigen Situation zu stärken. Die rot-rote Landesregierung arbeitet an einer Transfergesellschaft, die sicherstellt, dass die Werksangestellten nicht sofort in die Arbeitslosigkeit fallen. Zudem ist Frankfurt der Verbleib von Landesbehörden in der Stadt zugesichert worden. Eine eigens eingerichtete Abteilung im Wirtschaftsministerium widmet sich der verstärkten Ansiedlung von Unternehmen in der Stadt.

»Längerfristig braucht es jedoch neue Konzepte für strukturschwache Regionen im Osten«, sagt der Abgeordnete Nord. Er befürwortet das rote Projekt eines sozial-ökologischen Wandels. Ihm geht es um selbsttragende Entwicklungen vor Ort, um die Ansiedlung von Forschung und Entwicklung in strukturschwachen Regionen, um die Krisen zu überstehen, die die bloße Produktion betreffen. Das fehlt in einer Stadt wie Frankfurt bisher größtenteils. »Der Energiewandel muss technisch erprobt und fachlich untersetzt werden. Warum also kann das nicht in einer Region stattfinden, in der Menschen trotz ihrer guten Ausbildung keine Arbeit finden?«, fragt er. Nord geht es darum, dass den Menschen die Hoffnung auf eine gute Entwicklung ihrer Region zurückgegeben wird.

Es gibt in diesen Tagen auch einen weiteren Grund zur Hoffnung. Die Landesregierung prüft, ob das Land die komplette Fördersumme von First Solar zurückfordern kann. Bei allen Winkelzügen und Tricks hatte das Management des Konzerns wohl nicht bedacht, dass auch die vollständige zweijährige Ausbildung der Azubis Teil der Fördervereinbarung war. Denen aber wird nun schon nach einem Jahr der Stuhl vor die Werkstore gesetzt. Damit wurden die Fördermittelbedingungen nicht eingehalten, die Rückzahlung der Gesamtförderung scheint möglich. 27 Millionen Euro, die das Land gerne in die Stärkung des Standorts Frankfurt investieren will. Und so könnte es sein, dass es gerade Leute wie der 21-jährige Neels Wied sind, die mit ihrem Engagement den Beweis erbringen, dass sich Widerstand gegen die Willkür eines Mega-Konzerns lohnt – für eine ganze Region und die dort lebenden Menschen.

Thomas Feske