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„Kuchnja“ oder die Schule der Feministischen Kunst

erschienen in Lotta, Ausgabe 9,

Was nur noch selten im Alltag funktioniert, machten Künstlerinnen aus Russland, Kasachstan, Weißrussland und der Ukraine vor. Sie sprachen und arbeiteten miteinander.

Die Idee für die Schule für feministische Kunst – auch „Kuchnja“(Küche) genannt – hatten zwei Moskauer Künstlerinnen: Marina Vinnik und Mikaela. Unterstützt wurden sie dabei vom Büro der Rosa-Luxemburg- Stiftung in Moskau. Insgesamt zwölf Teilnehmerinnen aus Russland, Kasachstan, Weißrussland und der Ukraine setzten sich in Wochenendworkshops mit zeitgenössischen Gendertheorien und ihren eigenen, prekären Arbeits- und Lebenslagen auseinander. Die Initiatorinnen gingen von der These aus, dass Künstlerinnen im postsowjetischen Raum genau dann aus dem Kunstbetrieb ausgeschlossen werden, wenn sie sich in ihren Werken mit sozialen Schieflagen und der Ungleichbehandlung der Geschlechter beschäftigen. Solange Menschen nach Nationalität, Ethnie, Geschlecht, die sie nicht selbst ausgewählt haben, beurteilt werden, bleibt das Thema aktuell und die gesellschaftliche Ungleichbehandlung aufgrund dieser Kriterien muss immer wieder aufs Neue hinterfragt werden. In „Kuchnja“, der Schule für feministische Kunst, passierte genau das. Die Teilnehmerinnen thematisierten in ihren Arbeiten Menschenbilder und Rollenverständnisse, stellten Erwartungshaltungen infrage oder bedienten sie, artikulierten laute Fragen und gaben leise, nachdenkliche Antworten.

In dem Moment, wo die Kunstwerke in die Öffentlichkeit gingen, mussten die Künstlerinnen mit Deutungen und Interpretationen rechnen. Beides fiel nicht immer in ihrem Sinne aus. Künstlerische und interpretatorische Freiheit traten in Wechselwirkung. Im Sinne der Küchenmetaphorik bedeutet das jedoch, die Künstlerinnen schmoren nicht mehr im eigenen Saft. So eine Reibung erzeugt neue Energie. Voraussetzung ist allerdings der respektvolle Umgang miteinander. Die Initiatorinnen der „Kuchnja“ begreifen ihr Projekt aber auch als Reflexionsraum für Künstlerinnen über die eigene, nicht selten prekäre Lebenssituation, innerhalb der Kunstszene, innerhalb der Familie, innerhalb der Gesellschaft. In der Betroffenheit liegen sowohl Stärke als auch Schwäche des Herangehens. Die eigene Wahrnehmung hatte Gültigkeit, niemand durfte sie infrage stellen. Gleichzeitig kann die eigene Betroffenheit der Selbstdistanz im Wege stehen und den Blick auf andere Formen von
Benachteiligung verstellen. Die Frauen verschiedener Nationalitäten haben in ihrer „Kunst-Küche“ einen guten Weg gefunden, fair und reflektiert mit dieser Schwierigkeit umzugehen.
Tiina Fahrni leitet das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung Moskau