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„Je stärker DIE LINKE, desto sozialer das Land“

Von Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht, erschienen in Klar, Ausgabe 37,

In Klar sprechen Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch über ihren Start als neue Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, ihre Ziele und den Umgang mit Flüchtlingen.

Seit Oktober führen Sie gemeinsam DIE LINKE im Bundestag. Was ändert sich dadurch für Sie persönlich?   Bartsch: Schon in den ersten Tagen im neuen Amt habe ich erlebt, dass mein Alltag reicher geworden ist: Ich komme noch später ins Bett und – viel schlimmer! – muss noch früher raus.   Wagenknecht: Es gibt noch mehr Pflichttermine, die ich wahrnehmen muss. Trotzdem ist es mir wichtig, weiterhin so viel wie vorher außerhalb des Bundestags öffentlich aufzutreten, um so möglichst viele Menschen für unsere Positionen zu gewinnen.   Wird durch die neue Doppelspitze nun alles anders?   Bartsch: Unsere Fraktion hat bislang eine ordentliche Arbeit geleistet, die wir zunächst einmal fortsetzen wollen. Gut wäre es, wenn wir noch erkennbarer Alltagsprobleme der Leute aufgreifen und Vorschläge machen würden, die ihr Leben verbessern.    Wagenknecht: Dabei bleiben Partei- und Wahlprogramm unsere gemeinsame Grundlage: Wir wollen weniger gesellschaftliche Ungleichheit und die Rückkehr zu einer friedlichen Außenpolitik.   Manche Medien bezweifeln, dass Sie beide ein gutes Team sind.    Bartsch: Noch vor zwei, drei Jahren hätten vermutlich wenige diese Doppelspitze für möglich gehalten.    Wagenknecht: Aber mittlerweile haben wir durch gemeinsame Arbeit ein Vertrauensverhältnis aufgebaut – die wichtigste Voraussetzung für gute Teamarbeit.   Bartsch: Inzwischen verkörpern wir ein Stück weit den pluralen Charakter, den DIE LINKE in ihrer Satzung festgeschrieben hat.    Welche Eigenschaften schätzen Sie aneinander besonders?   Bartsch: Sahra versteht es sehr gut, Schwerpunkte zu setzen und rasch den Kern einer Sache zu erfassen. Sie kann verständlich argumentieren und die Dinge auf den Punkt bringen.   Wagenknecht: Mit Dietmar kann man gut diskutieren. Und er steht zu dem, was er einmal gesagt und versprochen hat.   Im September hat Kanzlerin Angela Merkel die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?   Bartsch: Die Kanzlerin verweigert sich dem Wettlauf der Unfreundlichkeit. Das ist gut. Sie muss jetzt aber endlich dafür sorgen, dass Fragen wie Abrüstung, Ernährung oder Klimaentwicklung angepackt werden.    Inwiefern werden die vielen Flüchtlinge Deutschland verändern?    Wagenknecht: Unsere Gesellschaft wird jünger und vielfältiger werden. Alles andere ist schwer vorauszusagen. Wenn jetzt ausreichend Geld in günstigen Wohnraum, eine moderne Infrastruktur sowie Hunderttausende Arbeitsplätze, in Bildung, Gesundheit und Pflege investiert würde, wäre Integration ohne soziale Verwerfungen möglich. Aber wenn die Regierung die Flüchtlinge missbraucht, um den Mindestlohn auszuhöhlen und Sozialkürzungen durchzudrücken, dann sehe ich schwarz.   Die Aufnahme der Flüchtlinge kostet Geld. Woher soll es kommen?    Wagenknecht: Was spricht gegen höhere Steuern für Superreiche? Allein die 500 reichsten deutschen Familien besitzen ein Vermögen von über 600 Milliarden Euro …   Bartsch: … das ist das Doppelte des Bundeshaushalts! Aber das Geld wird nicht dort abgeholt, wo es sitzt.   Wagenknecht: Deshalb fordert DIE LINKE die Wiedereinführung der Vermögensteuer.   Bei allem Respekt vor der Willkommenskultur: Nicht alles, was wünschenswert ist, kann auch umgesetzt werden.   Wagenknecht: Jeder weiß, dass es keine Lösung sein kann, die vielen Millionen verzweifelten Menschen, die weltweit auf der Flucht vor Krieg, Umweltzerstörung, Armut und Gewalt sind, nach Deutschland zu holen. Wir brauchen deshalb endlich eine Bundesregierung, die die Fluchtursachen bekämpft, und keine, die die Genehmigung der Waffenexporte nach Saudi-Arabien verdreifacht.    Bartsch: Aktuell erleben wir ein Staatsversagen, weil uns die Folgen einer falschen Politik einholen. Weltweit werden 1.500 Milliarden Dollar jährlich für Militär ausgegeben, aber dem Welternährungsprogramm fehlt das Nötigste, um die Flüchtlinge zu versorgen.   DIE LINKE ist Oppositionsführerin im Bundestag, steht aber einer überwältigenden Mehrheit aus CDU/CSU und SPD gegenüber. Lässt sich so soziale Gerechtigkeit durchsetzen?   Wagenknecht: Eine starke Opposition kann viel bewirken. Je stärker DIE LINKE ist, desto sozialer können wir das Land verändern. Das haben wir beim Mindestlohn gesehen, und auch bei TTIP und CETA bin ich optimistisch. Um noch schlagkräftiger zu sein, sollten wir die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen verbessern.    Bartsch: Und wir wollen bei den anstehenden Landtags- und Kommunalwahlen zulegen und im Jahr 2017 gestärkt in den Bundestag einziehen. Nicht als Selbstzweck, sondern um gesellschaftliche Veränderungen erreichen zu können.      Sahra Wagenknecht, geboren im Jahr 1969 in Jena, ging in Berlin zur Schule. In den 1990er Jahren studierte sie Philosophie und Neuere Deutsche Literatur in Jena, Berlin und Groningen. Sie promovierte im Jahr 2012 in Wirtschaftswissenschaften. Die 46-jährige Ökonomin war in den Jahren 2004 bis 2009 Mitglied des Europaparlaments, sie wirkte jahrelang als stellvertretende Vorsitzende von Partei und Fraktion DIE LINKE und sitzt seit dem Jahr 2009 im Deutschen Bundestag. Sahra Wagenknecht ist verheiratet und lebt in Merzig im Saarland.   Dietmar Bartsch kam im Jahr 1958 in Stralsund zur Welt. In Berlin studierte er Wirtschaftswissenschaften, im Jahr 1990 promovierte er in Moskau. Er arbeitete als Geschäftsführer für die Verlage junge Welt und Neues Deutschland. Der 57-Jährige wirkte viele Jahre unter anderem als Schatzmeister, Geschäftsführer und Wahlkampfleiter von PDS und DIE LINKE. In den Jahren 1998 bis 2002 sowie seit dem Jahr 2005 gehört er dem Deutschen Bundestag an. Dietmar Bartsch hat zwei Kinder und zwei Enkelinnen. In seiner Freizeit spielt er Volleyball und Doppelkopf.