Zum Hauptinhalt springen

Ist jede Arbeit besser als keine?

Von Sahra Wagenknecht, erschienen in Clara, Ausgabe 18,

Sechs Fragen zu Arbeit, Aufstockern und Aufschwung an Johannes Vogel (FDP) und Sahra Wagenknecht (DIE LINKE)

Frage 1: Ende Oktober 2010 verkündete die Bundesagentur für Arbeit, die Zahl der Arbeitslosen sei unter die Drei-Millionen-Grenze gefallen. Sie, Herr Vogel, haben gesagt, das sei eine tolle Nachricht. Sie, Frau Wagenknecht, sprechen hingegen von statistischen Tricks.

Johannes Vogel: „Ich bleibe dabei, dass dies eine tolle Nachricht ist: Wir haben deutlich weniger Menschen ohne Arbeit. Man kann gerne die Statistik der Bundesagentur für Arbeit kritisieren. Fakt ist, dass sich die Kriterien zur Berechnung der Arbeitslosigkeit seit dem Jahr 2004 nicht wesentlich verändert haben. Also, wie man es dreht und wendet: mehr Menschen haben Arbeit.“

Sahra Wagenknecht: „Kreative Buchführung ist das Motto der offiziellen Arbeitslosenstatistik. Herausgerechnet werden beispielsweise Menschen, die Ein-Euro-Jobs haben oder in Maßnahmen der Bundesagentur sind. Wenn man heute die Kriterien zur Erfassung von Arbeitslosen heranzieht, die noch vor zehn Jahren galten, kommt man auf ganz andere Ergebnisse, nämlich auf 4,1 Millionen arbeitslose Menschen.“

 

Frage 2: „Sozial ist, was Arbeit schafft“ – das war der Wahlslogan der CDU, mit der die FDP zusammen regiert. Ist das ein sinnvolles Motto für die Arbeitsmarktpolitik?

Johannes Vogel: „Das ist nicht der Leitsatz der FDP, und auch nicht meiner. Die FDP steht für mehr Wachstum und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Aber eben auch für eine Sozialpolitik, die Härten abfedert und bei Schicksalsschlägen hilft. Deshalb haben wir das liberale Bürgergeld entwickelt.“

Sahra Wagenknecht: „In diesem Slogan fehlt ein Wort: Sozial ist, was gute Arbeit schafft. Wir wollen, dass Menschen sichere und gute Arbeitsplätze haben, von denen sie leben und ihre Familien versorgen können. Es ist ein Hohn, dass auf der einen Seite unermesslicher Reichtum existiert und auf der anderen Seite der Anteil der Armen in der Bevölkerung immer mehr zunimmt. 11,5 Millionen Menschen leben in Deutschland in Armut – ein Drittel mehr als vor zehn Jahren!“

 

Frage 3: Sich selbst in die Verantwortung nehmen, seinen eigenen Unterhalt verdienen, nicht von Transferleistungen abhängig sein – wie verträgt sich dieser Wunsch vieler Menschen mit der Realität von Minijobs, prekären Beschäftigungsverhältnissen und nicht sozial-versicherungspflichtigen Tätigkeiten?

Johannes Vogel: „Entscheidend ist, dass jeder Mensch eine faire Chance bekommt, seine Wünsche umzusetzen, natürlich auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt. Flexible Beschäftigungsmöglichkeiten sind gerade als Einstieg enorm wichtig. Es muss dann natürlich weitergehen, aber das klappt ja heute schon oft gut. Wir können gerne darüber reden, wie wir das weiter verbessern können!“

Sahra Wagenknecht: „Die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass nicht Unternehmensgewinne steigen, sondern gute Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir brauchen ein Ende der Leiharbeit, die vor allem dazu dient, reguläre Beschäftigung abzubauen. Wir fordern außerdem eine Erhöhung des Hartz-IV-Satzes auf 500 Euro und ein öffentliches Investitionsprogramm.“

 

Frage 4: Was hat die Gesellschaft von Löhnen, die zum Leben nicht reichen und die die Menschen nötigen, zusätzlich Hartz IV beantragen zu müssen?

Johannes Vogel: „Jeder, der sich mit dem Thema auskennt, weiß, dass nur eine verschwindend geringe Anzahl der Menschen aufstockt, weil der Lohn für die Existenzsicherung nicht ausreicht. Hier wird am wahren Problem vorbeidiskutiert, nämlich den zu geringen Zuverdienstmöglichkeiten.“

Sahra Wagenknecht: „Die Gesellschaft ist die Verliererin. Profiteurin ist die Wirtschaft, ihre Gewinne steigen. Wir alle müssen dafür aufkommen, dass Unternehmen den großen Reibach machen.“

 

Frage 5: Welche Argumente sprechen für oder gegen einen Mindestlohn?

Johannes Vogel: „Die FDP spricht sich gegen einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn aus. Er würde auch nach Untersuchungen der Freien Universität Berlin eben doch Arbeitsplätze kosten und zudem eine kaum überwindliche Hürde für gering qualifizierte Arbeitslose darstellen. Von solch einem Mindestlohn würden einige wenige profitieren, für viele gilt das Gegenteil. Der Verweis auf andere Länder hinkt regelmäßig. Ich bezweifle etwa, dass DIE LINKE die Arbeitsmarktregeln Großbritanniens komplett kopieren will.“

Sahra Wagenknecht: „Mir fallen keine stichhaltigen Argumente gegen einen Mindestlohn ein. Die Erfahrung anderer Länder wie Großbritannien zeigt, dass die Behauptung, so würden Arbeitsplätze vernichtet, einfach nicht stimmt. Im Gegenteil. Ein erhöhtes Einkommen steigert die Binnennachfrage, wodurch wiederum neue Arbeitsplätze entstehen.“

 

Frage 6: Bei wem kommt das aktuelle Wirtschaftswachstum an?

Johannes Vogel: „Zunächst einmal bei den Unternehmen. Das liegt in der Natur der Sache. Hierdurch steigen ja auch die Steuereinnahmen und das ermöglicht die Finanzierung des Sozialstaats. Ich setze darauf, dass die deutsche Tarifautonomie zudem dafür sorgt, dass der Aufschwung auch bei den Arbeitnehmern ankommt. Ich habe großes Verständnis für die Forderung nach höheren Löhnen.“

Sahra Wagenknecht: „Jedenfalls nicht bei denen am unteren Ende der Leiter. Diejenigen, die Hartz IV erhalten, spüren durch die lächerliche Fünf-Euro-Erhöhung des Regelsatzes ganz bestimmt nichts davon. Ebenso wenig die Niedriglohnbezieher und diejenigen, deren Arbeitsplatz trotz Aufschwungs gefährdet ist. Der Aufschwung nützt vor allem denen, die jetzt dank großzügiger Steuerhilfen wieder obenauf sind. Die Kosten der Krise sind auf den Steuerzahler abgewälzt worden, und die Sparpakete treffen diejenigen, die nur wenig haben.“

 

Johannes Vogel ist seit dem Jahr 2009 Bundestagsabgeordneter und arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Er war von 2005 bis 2010 Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen und ist seit drei Jahren Mitglied im FDP-Bundesvorstand.

Sahra Wagenknecht ist seit dem vergangenen Jahr Mitglied des Deutschen Bundestages und wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. Seit Mai 2010 ist sie außerdem stellvertretende Vorsitzende der Partei DIE LINKE.