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Ist der Euro noch zu retten, Herr Lafontaine?

Von Oskar Lafontaine, erschienen in Clara, Ausgabe 19,

Der ehemalige Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine erklärt, warum in Deutschland die Löhne steigen müssen, damit der Euro nicht auseinander bricht.

Seit Monaten geht es um Rettungsaktionen für den Euro. Bricht die Gemeinschaftswährung auseinander?
Oskar Lafontaine: Das hängt von den Löhnen ab. Die Löhne sollten mit der Produktivität steigen und zusätzlich die Inflation ausgleichen. Von allen Euro-Ländern hat Deutschland diese Regel am meisten verletzt. Denn bei uns stagnieren die Gehälter seit mehr als zehn Jahren. Dieses Lohndumping ist nicht nur schlecht für unser Land, sondern auch für die Euro-Zone. Deutsche Unternehmen erobern die Märkte der Euro-Länder, die ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren und in die Verschuldung rutschen. Deshalb muss man in Europa die Entwicklung der Löhne abstimmen. Sonst bricht der Euro zwangsläufig auseinander.


Droht wegen der Rettungsmilliarden eine Welle der Inflation?
Nein. Eine Preisinflation im klassischen Sinne entsteht nicht. Zwar sind Rohstoffe wie Erdöl teurer geworden, aber insgesamt bleiben die Preise für Güter und Dienstleistungen stabil. Einen anhaltenden Preisschub kann es nur geben, wenn die Masseneinkommen stark steigen. Das Gegenteil ist aber der Fall. In den Krisenländern wie Griechenland oder Irland werden die Einkommen gekürzt. Und in Deutschland sind die aktuellen Lohnabschlüsse wieder viel zu niedrig. Die Rettungsmilliarden fließen eben nicht den Normalverdienern zu.


Trotzdem glauben viele an die Gefahr einer anhaltenden Geldentwertung.
Aber die Tatsachen sprechen eine ganz andere Sprache. Die Euro-Länder streichen ihre Haushalte zusammen. Griechenland und Irland sind mit harten Sparauflagen konfrontiert. Dort vertieft sich die Krise. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die Menschen haben deutlich weniger Geld für den Konsum.


Ist die Forderung von Kanzlerin Merkel (CDU), dass alle Euro-Länder die öffentlichen Haushalte konsequent sanieren müssen, richtig oder falsch?
Die Bundeskanzlerin kann nichts richtig machen, weil sie das System nicht versteht. Frau Merkel sagt immer: Die Deutschen leben über ihre Verhältnisse. Die Wahrheit ist: Die Deutschen leben unter ihren Verhältnissen, weil sie mehr Waren produzieren, als sie verbrauchen. Die Menschen in Griechenland leben über ihre Verhältnisse, weil sie weniger Waren herstellen, als sie konsumieren. Solange die Bundesregierung diesen Zusammenhang nicht erkennt, ist die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik grundfalsch und schadet der europäischen Entwicklung.


Was sollte Deutschland tun, um die Eurokrise einzudämmen?
Der Lohnanstieg in Deutschland muss stärker sein als in anderen europäischen Staaten. Ein ganz wichtiger Schritt wäre es beispielsweise, die Zumutbarkeitsklauseln für Arbeitslose abzuschaffen. Die Löhne sinken, wenn man jede Arbeit annehmen muss, egal wie unwürdig und schlecht bezahlt sie ist. Das muss endlich aufhören. Dringend notwendig ist auch ein Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde.
 

Die Veränderung der Löhne braucht Zeit. Was sollte sofort geschehen?
Die Europäische Zentralbank muss Direktkredite an die Mitgliedsstaaten geben. Eine länderübergreifende Entschuldung muss vorbereitet werden, ohne den Fehler Merkels zu wiederholen. Die Ankündigung, zukünftig die Gläubiger zu beteiligen, führte zu einem deutlichen Zinsanstieg bei den Schuldnerstaaten. DIE LINKE hat schon vor Jahren Eurobonds vorgeschlagen, also gemeinsame Anleihen aller Länder der Währungsunion. Spekulationen gegen einzelne Länder sind dann nicht mehr möglich. Die Zinsen dürften insgesamt günstig ausfallen. Mehr Integration und gemeinsame Verantwortung – daran führt kein Weg vorbei. Die Bundesregierung macht eher das Gegenteil. Wenn sie so weitermacht wie bisher, zerstört sie das Euro-System.
 

Oskar Lafontaine war Vorsitzender der SPD und Bundesfinanzminister. Nach seinem Austritt aus der SPD übernahm er ab Herbst 2005 den Vorsitz der Bundestagsfraktion DIE LINKE und von 2007 bis 2010 den Vorsitz der gleichnamigen Partei. Seit September 2009 führt er die Fraktion DIE LINKE im saarländischen Landtag.