Zum Hauptinhalt springen

In schlechter Gesellschaft

erschienen in Lotta, Ausgabe 12,

Sexismus und andere Formen der Unterdrückung

Sexismus ist allgegenwärtig. Das zeigt nicht nur ein Blick auf die Repräsentation von Frauen in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens, sondern auch Social-Media-Kampagnen wie #aufschrei, #notokay und jüngst #sexismusinparteien, die alltägliche Sexismuserfahrungen thematisieren zeugen davon. Ziel der emanzipatorischen Linken ist es seit jeher, sexistische Strukturen wirksam zu bekämpfen. Gerade angesichts gesellschaftlicher Prozesse, wie zuletzt der Verschärfung des Aufenthaltsrechts nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln, wird jedoch deutlich, dass ein kluger Feminismus sich nicht auf sexistische Diskriminierung beschränken darf. Er muss vielmehr andere Formen der Unterdrückung wie Rassismus stets mit im Blick haben und sich der – zum Teil herausfordernden – wechselseitigen Bezüge bewusst sein.

Parallele Machtverhältnisse?

Sexismus und Rassismus werden immer wieder als parallele Phänomene begriffen – schließlich differenzieren beide aufgrund vermeintlich naturgegebener Merkmale zwischen Untergruppen von Menschen. Beide sind Ungleichheitsideologien, die bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse legitimieren und reproduzieren. Sie marginalisieren betroffene Menschen und hindern sie an chancengleichem Leben und gleichberechtigter Teilhabe. Daraus zu schließen, dass Sexismus und Rassismus voneinander unabhängig sind, wäre jedoch fahrlässig.

Kopplungen Erkennen

Zum einen treten Rassismus und Sexismus vielfach gekoppelt auf. So korrelieren in Zeiten problematischer demografischer Faktoren häufig Maßnahmen, die auf die Geburtensteigerung von Inländer*innen abzielen, mit einer restriktiven Einwanderungspolitik. Die rassistische »Sorge« um Homogenität spielt hier mit der sexistischen »Sorge« um Reproduktion zusammen. Institutioneller Rassismus und Sexismus verbinden sich zu einer komplexen Bevölkerungspolitik.

Die Frage nach den Sprecher*innen

Schon in den 1980er Jahren fragten Schwarze Frauen, Jüdinnen und Migrantinnen, wer mit »den Frauen«, für die der Feminismus spricht, gemeint ist. Frauen mit Behinderung machten darauf aufmerksam, dass das Klischee vom sexualisierten weiblichen Körper sowie der fürsorglichen Mutter auf sie nicht projiziert werde. Das Problem der (Nicht)Repräsentation lässt sich an der zentralen feministischen Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe am Erwerbsleben verdeutlichen: Erste Schritte in diese Richtung konnten weiße Frauen in den letzten Jahren nur gehen, indem Migrantinnen gleichzeitig die Hausarbeit übernahmen. Die Hausarbeit wurde so ethnisiert, prekarisiert – und Migrantinnen bei der »Emanzipation« ganz offensichtlich nicht mitgedacht.

Intersektionale Perspektiven

Die Parallelisierung von Sexismus und Rassismus verstellt aber auch den Blick auf Mehrfachdiskriminierung. Am Beispiel der spezifischen Diskriminierungserfahrungen von Schwarzen Frauen entwickelte Kimberlé W. Crenshaw Ende der 1980er Jahre den Begriff der Intersektionalität. Sie arbeitete heraus, dass bestimmte Diskriminierungen erst unter Einbeziehung mehrerer Diskriminierungsmerkmale (hier: Race und Gender) sichtbar werden. In einem der von ihr herausgestellten Fälle ging es um eine Klage einer Gruppe Schwarzer Frauen wegen systematischer Verweigerung besserer Vergütung im Betrieb. Die Klage blieb vor Gericht erfolglos, da der Arbeitgeber nachweisen konnte, dass er sowohl Frauen als auch Schwarze in den angestrebten Vergütungspositionen beschäftigte – weiße Frauen und Schwarze Männer. Die Klägerinnen waren also weder allein aufgrund ihres Geschlechts noch aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert worden, sondern in ihrem Zusammenspiel.

Tückische Allianzen Verhindern

Besonders komplexe Verschränkungen kommen zum Tragen, wenn sich rassistische Diskurse in feministische Anliegen einschreiben oder umgekehrt. Die diskursive Entwicklung »nach Köln« offenbarte diese unheilige Strategie des Othering von Sexismus, indem feministische Rhetorik für rassistische Argumentation missbraucht wurde. Sexismus wird hier ethnisiert, um ihn außerhalb der Mehrheitsgesellschaft zu verorten. Die Folge ist mehrfach problematisch: Einerseits wird so »weißer Sexismus« relativiert, andererseits werden rassistische Grenzen zwischen einem vermeintlichen innen und außen gezogen.

Um nicht in solche Fallen zu tappen, ist es unbedingt notwendig, die verschiedenen Systeme der Unterdrückung stets zusammenzudenken und in ihrer Komplexität zu adressieren. Dabei wurde hier Rassismus nur exemplarisch herausgegriffen, um im Verhältnis zu Sexismus diese komplexen Verflechtungen anzureißen. Andere Ideologien der Ungleichheit wie Klassismus, Antisemitismus oder Ableism – also die Beurteilung von Menschen anhand ihrer Fähigkeiten – dürfen im kritischen Mitdenken nicht vergessen werden.

Selma Gather ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Juristischen Fakultät an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Mitglied bei den Feministischen Juristinnen