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Ihr Protest wirkt weiter

erschienen in Querblick, Ausgabe 14,

Frauen, die bisher nie kämpften, gingen im Sommer auf die Straße.

Im Mai vergangenen Jahres lagerten rund 200 Frauen eine Woche lang vor dem Bundeskanzleramt. Gut sichtbar demonstrierten sie mit Schlafsäcken und Isomatten auf einer Wiese, 20 Meter von Merkels Amtsräumen entfernt, gegen den Verlust der Existenzgrundlagen ihrer Familien. Sie forderten einen Krisengipfel zur Rettung ihres Berufsstandes. Mit zunehmender Wut, denn sie wollten ein Gespräch mit Angela Merkel, um der Kanzlerin von ihren existentiellen Nöten berichten zu können. Aber die Tür des Kanzleramtes tat sich für sie nicht auf. Nach zwei ergebnislosen Tagen entschlossen sich sechs Teilnehmerinnen, in Hungerstreik zu treten, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Tagelang brachte das Rote Kreuz den hungerstreikenden Frauen Tee und versorgte sie medizinisch. Doch selbst dieses letzte Mittel passiven Widerstandes führte nicht zum gewünschten Erfolg. Die Kanzlerin fuhr zwar zu Opel, aber mit den Protestierenden vor ihrem Amtssitz mochte sie nicht sprechen Nach einer Woche wurde die Aktion abgebrochen.

Studentinnen, Krankenschwestern, Sozialarbeiterinnen – sind das die Bilder, die Sie bei dieser Schilderung vor Augen haben? Weit gefehlt. Es waren Frauen, die ihre Höfe und Dörfer verlassen hatten, um die Kanzlerin herauszufordern. Mit größtem Respekt denke ich an diese Aktion der Milchbäuerinnen zurück. In welcher Krise sich Milcherzeugerbetriebe durch die ruinöse Preispolitik befinden, dürfte vielen erst durch ihre medienwirksamen Proteste bekannt geworden sein. Unvergessen sind auch die Bilder von Landwirten, die zeitgleich ihre Milch auf die Felder kippten und Strohballen anzündeten.

Auch wenn die Bäuerinnen ihr Ziel, Angela Merkel zu sprechen, nicht erreichten, ihr Protest war nicht nur außergewöhnlich, sondern auch ermutigend. Mehrfach war ich persönlich bei den Streikenden. Ich habe sowohl – leider erfolglos – versucht, ihnen Rederecht vor dem Agrar-Ausschuss zu ermöglichen, habe die solidarischen Grüße der Fraktion DIE LINKE überbracht oder einfach nur heiße Gulaschsuppe. Die solidarische Entschlossenheit unter den Teilnehmerinnen wird mir lange in Erinnerung bleiben und sie hoffentlich bei ihren zukünftigen Kämpfen tragen. Die kreativen Plakate, die inszenierten kollektiven Ohnmachtsanfälle und die Gesänge wurden nicht nur von den Medien weit verbreitet. Sie wirkten auch in die deutsche Bauernschaft hinein. Als sich Bauernpräsident Sonnleitner von den Demonstrantinnen distanzierte, erntete er deutliche Kritik vom Sprecher des Milchbauern-Verbandes Hans Foldenauer: »Wer sich von den Bäuerinnen distanziert, hat sich disqualifiziert.« Recht hat er.

Kirsten Tackmann