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»Ich war ziemlich antifeministisch«

erschienen in Querblick, Ausgabe 19,

Anna Conrads über Selbstverständnis, Frauenquote und Selbstbestimmung junger Frauen.

Anna Conrads hat die Dreißig gerade überschritten. Damit ist sie fast fünfzig Jahre jünger als die Frauen­forscherin Herta Kuhrig (siehe Interview). Ein großer Altersabstand, der allerdings kaum zählt, denn in ihren Wünschen und Visionen sind die beiden so unterschiedlich sozialisierten Frauen sich sehr nahe.

Aufgewachsen ist Anna Conrads in Neuss, in der Nähe von Düsseldorf. Nach dem Abitur1998 ging sie zum Studieren nach Duisburg und landete dort in einer politisch bunten Wohngemeinschaft. Das politische Spektrum reichte von PDS über Grüne bis zur SPD. Sie studierte Sozialwissenschaften. Mit Schwerpunkt Politik.

»Anfänglich hatte ich mit Feminismus gar nichts am Hut, war sogar ziemlich antifeministisch«, erzählt Anna Conrads. »Ich hatte dieses ganze Repertoire der Feuilletons geschluckt, danach waren Feministinnen freudlos und hässlich, und keiner wollte mit ihnen zu tun haben.« Damals hatte sie gerade ihr Abitur bestanden und wollte mit dem Studium beginnen. »Ich dachte, ich meistere sowieso irgendwie alles«, erinnert sie sich.

Als Studentin hat sie Statistiken gelesen und erfahren, dass Frauen in bestimmten Positionen nicht vertreten sind und fast ein Drittel weniger verdienen als Männer. Aber das waren nur Zahlen. Dahinter steckte noch keine eigene Erfahrung. Die kam nach dem Studium. Im Alltags- und Berufsleben. »Meine Generation, aufgewachsen in den1990er Jahren, lebt in prekären Verhältnissen: Wir hangeln uns von einem befristeten Job zum anderen. Wir müssen uns alle dreimal überlegen, ob wir eine Familie gründen oder nicht. Uns fehlt die Sicherheit für die eigene Lebensplanung«, sagt sie.

Anna Conrads steckt selbst in dieser Zwickmühle. Als Landtagsabgeordnete ist sie Politikerin nur auf Zeit. Befristet beschäftigt für eine Legislaturperiode. Außerdem können jederzeit Neuwahlen vor der Tür stehen. Wer aufwächst in einer Phase permanenter Unsicherheit, der beginnt sich an Tradiertes zu klammern. »Ich erlebe, dass etliche Freundinnen plötzlich in ihrer Mutterrolle aufgehen und versuchen, sich in dieser Häuslichkeit eine andere Form von Sicherheit zu schaffen«, erzählt sie. »Doch das bedeutet am Ende zurück zum Ernährermodell. Das kann nicht gut gehen.«

Die Frauenquote ist richtig

Sie hat es hautnah bei ihrer Mutter erlebt. Diese hatte ihren Beruf auf­gegeben, um sich zu Hause um Annas Betreuung zu kümmern. Anschließend bekam sie nie wieder eine faire Chance auf dem Arbeitsmarkt. Schließlich ließen sich Annas Eltern scheiden. Heute lebt Annas Mutter von Hartz IV. Und die Tochter ahnt, dass ihre Mutter auch im Alter arm sein wird. So wie viele andere Frauen auch.

Auf ökonomisch eigenen Beinen stehen, nicht abhängig sein von einem Ernährer, Erwerbs- und Familienarbeit unter einen Hut bringen – das sind uralte Forderungen. Von Frauen in der Geschichte aufgestellt. »Wir sind gut beraten anzuerkennen, was die Frauenbewegung früher für uns getan hat«, sagt Anna Conrads. »Doch viele Fragen – wovon lebe ich morgen, wie sichere ich mich ab, sind Kinder ein Armutsrisiko? – sind noch lange nicht zufriedenstellend beantwortet.«

Anna Conrads redet schnörkellos, bricht die politischen Zusammenhänge auf den Alltag herunter, erzählt plastisch und mit Leidenschaft. Manches, hatte sie geglaubt, habe sich längst erledigt. Die Frauenquote zum Beispiel. Dafür hatte sie schon in der Studienzeit gestritten. »Sie ist wichtig und richtig«, sagt Anna Conrads. Die Quote dürfe allerdings nicht Ziel, sondern nur Instrument sein. »Wenn man keine Vision von einer anderen Gesellschaft hat, wie wir miteinander umgehen, wie wir leben und arbeiten wollen, dann läuft die Diskussion in eine falsche Richtung.« Und sie hinterfragt die Frauenquote in der Wirtschaft: Welche realen Verbesserungen bringt es für die große Mehrheit der Frauen, wenn Frauen in den Aufsichtsräten sitzen?«

Trotz dieser unbeantworteten Fragen blickt Anna Conrads hoffnungsvoll in die Zukunft. So wie viele Frauen in den Generationen vor ihr auch. Ihre Hoffnung baut auf das ziemlich gute Gefühl, das Frauen wohl zu allen Zeiten hatten: An irgendeiner Stelle merken sie, sie müssen es selbst tun. »Wir Frauen müssen uns auch den Begriff Feminismus zurückerobern«, fordert Anna Conrads. Auch wenn dieser bis heute vielerorts Beißreflexe auslöst. Feminismus als Befreiungsperspektive für Frauen und Männer.

 

Zur Person

Anna Conrads wurde im Jahr 1979 geboren und wuchs in Neuss auf. Sie ist diplomierte Politikwissenschaftlerin. Von 1999 bis 2001 gehörte sie dem Kulturausschuss im Rat der Stadt Duisburg an. Seit vielen Jahren ist sie aktiv in antifaschistischen Bündnissen, der Friedensbewegung und bei Jugendverbänden. Im Jahr 2005 tritt sie in die Partei Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) ein. Seit vier Jahren arbeitet sie im Kreisverband DIE LINKE.Duisburg und im Jugendverband Links­jugend [’solid] mit. Seit Juni 2010 ist Anna Conrads eine von elf Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Nordrhein-Westfalen.