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Ich muss nicht Abgeordnete sein, ich will es!

erschienen in Clara, Ausgabe 12,

Steuerexpertin der LINKEN Barbara Höll zwischen Politik und Privatleben.

Es ist abends, kurz nach acht. Mitten im Gespräch schaut Barbara Höll auf die Uhr. »Ich hab’ ja noch einen Termin. Der ist heilig.« Und schon ist sie draußen vor der Tür. Das Handy am Ohr. Ihr Termin hat einen Namen: Emilia, die sechsjährige Tochter, zu Hause in Leipzig. Immer wenn in Berlin im Bundestag die Sitzungswoche angesagt ist, und davon gibt es immerhin 22 im Jahr, dann gibt es den Gute-Nacht-Kuss und das Reden über die tausend kleinen Kinderdinge eben nur am Telefon. Das geht, weil Freunde da sind. Und es geht gut, erzählt Barbara Höll. Sie ist alleinerziehend. Ausgesucht hat sie sich das nicht. Emilias Vater war schon weg, bevor die Tochter geboren wurde. Emilia hat zwar noch zwei große Brüder, die aber sind schon aus dem Haus. Mutter sein, Alltag zwischen Kindergarten und Abendbrot, dazwischen Termine, immer auf Achse. Für eine Politikerin ist das nicht die schlechteste Schule, schmunzelt die promovierte Philosophin. Besonders wenn man Gleichstellungspolitik macht. Das erste Mal zog Barbara Höll 1990 in den Bundestag ein. Damals noch in Bonn und damals noch für die PDS. Ganze 17 Hanseln waren wir, erzählt sie. Exoten aus dem Osten, die im etablierten Regierungsviertel nicht ernst genommen wurden. Das war harte Arbeit, sich Respekt zu verschaffen. Das ging nur über Kompetenz, durch klug formulierte Anfragen und Anträge und durch die sachliche Mitarbeit in den Ausschüssen. Mittlerweile leitet Barbara Höll den Arbeitskreiskreis für Wirtschaft, Arbeit und Finanzen in der Bundestagsfraktion DIE LINKE und sie ist deren steuerpolitische Sprecherin. Dabei ist sie von Hause aus Geisteswissenschaftlerin! War es die Zahlenmagie oder der Ehrgeiz, Steuervereinfachung auch auf einen Bierdeckel zu bannen? »Steuern sind spannend«, sagt die 51-Jährige, »und die Philosophie ist genau richtig dafür. Denn Philosophie stellt immer die Grundfragen. Was bedeuten Steuerentscheidungen für den Alltag? Du hinterfragst einfach immer die Folgen. Das ist wichtig für Entscheidungen, nicht das reine Zahlengeflecht.« Und Steuern gehen jeden an. Sie greifen tief ins Getriebe. In die Wirtschaftskreisläufe, bei den Kommunen, privat. Und damit ist Barbara Höll auch schon bei ihrer nächsten Verantwortung, der Lesben- und Schwulenpolitik. Von Steuergleichheit kann hier zum Beispiel gar keine Rede sein. Schwule und Lesben dürfen sich zwar »verpartnern«, wie es neudeutsch heißt, das Ehegattensplitting aber ist für sie tabu. Tabu sind im Bundestag auch immer noch schmerzhafte Erfahrungen aus der Geschichte. Noch viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurden mit Hilfe des §175 unglaublich viele Männer verurteilt. In der alten Bundesrepublik etwa 50-tausend, in der DDR dreitausend. Ihnen wurde Lebenszeit gestohlen, sie wurden gedemütigt, kriminalisiert, stigmatisiert. Für ihre Sexualität. Das weiß man heute eigentlich - oder besser, man könnte es wissen, sagt Barbara Höll. Diese Männer müssen rehabilitiert werden. DIE LINKE hat einen entsprechenden Antrag gestellt. Das allein ist für andere Abgeordnete fast schon Frevel. Kein Zuhören, kein Nachdenken. Ein »dickes Brett«, an dem Barbara Höll eben weiter bohrt. Geduldig, aber konsequent. So versteht sie ihren Job. Ich muss nicht, ich will Abgeordnete sein. Denn Veränderung ist möglich. Gisela Zimmer