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»Ich habe akzeptiert, dass ich sterben kann«

erschienen in Clara, Ausgabe 21,

Der Krieg in Afghanistan ist zehn Jahre alt. Er sollte den Menschen Freiheit, Sicherheit und Frieden bringen. Die Realität sieht anders aus. Auch für Said Mahmoud (26): Er lebt mit dem Gefühl, jeder Tag könnte der letzte sein.

Seit zehn Jahren tobt der Krieg in Ihrem Land. Welche Bilanz ziehen Sie?
Die Situation in meiner Heimat wird immer schlimmer. Täglich gibt es Angriffe der Nato-Truppen und Taliban, die immer aktiver sind. Das einfache Volk steht mittlerweile zwischen so vielen Frontlinien und zahlt einen blutigen Preis.

 

Der Einsatz sollte den Menschen Freiheit bringen…
Der Krieg hat vor allem den Warlords Freiheit gebracht, aber nicht den einfachen Menschen. Mehr als 40 Zivilisten werden täglich von Taliban und Nato-Truppen ermordet. Den Toten ist es egal, wer sie umbringt.

 

Was sind die größten Fehler der Nato-Truppen?
Sie haben nicht mit jenen Kräften zusammengearbeitet, die das Land wirklich hätten aufbauen können: der jungen demokratischen Bewegung, mit Menschen, die kein Blut an den Händen haben. Stattdessen haben die westlichen Truppen die Rechte der Menschen tagtäglich missachtet. Weil Sie ein deutscher Journalist sind, mag ich Ihnen ein Beispiel nennen ...

 

… das Massaker von Kundus?
Ja. Viele der dort ermordeten Menschen kamen aus dem Heimatdorf meiner Eltern. Ich selbst habe Freunde und Bekannte verloren. Den Befehl zur Bombardierung gaben deutsche Soldaten. Unter den mehr als 100 Opfern waren gerade mal vier Taliban. Solche Aktionen sind es, die den Hass auf die ausländischen Truppen täglich wachsen lassen und nur den Taliban und Warlords nutzen.

 

Die westlichen Regierungen haben viel Geld für Aufbauprojekte überwiesen. Kommt das Geld dort an, wofür es auch gedacht war?
Auch wenn es so sicherlich nicht gewollt ist, aber das Geld der meisten ausländischen Hilfsorganisationen fließt in die Taschen der Warlords und stärkt sie. Diese Verbrecher sitzen leider genau in jenen Positionen in der Regierung, der Verwaltung und den Provinzen, die es ermöglichen, die ausländischen Gelder abzuschöpfen.

 

Sie sind Sprecher der Afghanischen Solidaritätspartei, was sind Ihre Forderungen?
Wir fordern Demokratie, einen säkularen Staat und den Abzug der Nato-Truppen, denn dann hätte das afghanische Volk einen Feind weniger und es blieben nur die Taliban und die Warlords übrig. Zudem wollen wir die Festnahme und Verurteilung all jener Verbrecher, die dem Land nur schaden.

 

Wen meinen Sie damit?
All die Warlords, Taliban und Kriegsverbrecher, die ihre Hände voller Blut haben von all den Konflikten der Gegenwart und auch Vergangenheit. Unser Land kommt auch deswegen nicht zur Ruhe, weil es keine Gerechtigkeit gibt. Zu viele Verbrecher sitzen in wichtigen Positionen.

 

Wie gefährlich ist Ihre Arbeit für die Solidaritätspartei?
Sehr. Unsere Büros sind geheim, und wir wissen ganz genau, wo wir hinkönnen oder nicht. Ein Parteimitglied von uns wurde von den Taliban geköpft, weil sie herausfanden, dass er Kurse zur Schulbildung für Frauen anbot.

 

Leben Sie tagtäglich in Angst?
Angst ist nicht mein bestimmendes Gefühl. Es ist eher so, dass ich die Möglichkeit akzeptiert habe, täglich sterben zu können. Ertragen kann ich das nur, weil ich zugleich in der Hoffnung lebe, dass es für mich und die Menschen hier irgendwann besser wird und Frieden herrscht. Mein Vater sagt mir immer, wenn du schon lebst, dann lebe den Tag richtig. Das ist mein Motto, und darum kämpfe ich für ein anderes Afghanistan.

 

Das Interview führte Benjamin Wuttke.