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Harte Arbeit, niedriger Lohn

erschienen in Klar, Ausgabe 34,

Die meisten der rund 300.000 Zeitungszusteller gehen beim Mindestlohn leer aus.

Für Dagmar Scheller (Name von der Redaktion geändert), die im Rhein-Main-Gebiet lebt und arbeitet, ist die Nacht kurz. Um 2.30 Uhr reißt der Wecker sie aus dem Tiefschlaf. Der erste von drei Jobs ruft. Dagmar Scheller arbeitet als Zeitungszustellerin.

Nach zehn Minuten Fußweg erreicht sie die Ablagestelle, den überdachten Eingang eines Geschäftshauses. Kurz darauf fährt ein Kastenwagen vor, die druckfrischen Zeitungen werden in gebundenen Paketen abgeladen. Dagmar Scheller hievt die schweren Stapel in den Handkarren. Neben dem großen Lokalblatt verteilt sie auch überregionale Tages- und Wochenzeitungen. Voll beladen hastet sie von Tür zu Tür. Immer wieder muss sie sich vor den Hausbriefkästen bücken und das passende Zeitungsexemplar hervorkramen.

Einen festgelegten Stundenlohn erhält Dagmar Scheller nicht. Seit mehreren Jahren gab es keine Lohnerhöhung. Sie bekommt einen von ihrer Geschäftsführung mit Satellitennavigation ermittelten Grundlohn nach Bezirk und Route. Meist sind es für sie zwischen fünf und sieben Euro pro Stunde.

Gerne hätte sie ab dem nächsten Jahr vom gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde profitiert. Doch dass sie und die meisten ihrer rund 300.000 Kolleginnen und Kollegen noch zwei Jahre länger auf den Mindestlohn warten müssen, hat ihnen der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) eingebrockt. Medien berichten, der Verband habe Abgeordnete und Regierung mit Erfolg bedrängt, Ausnahmeregelungen für die Zeitungszustellung zu vereinbaren. Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell aus Koblenz kommentiert das Ergebnis: »Das ist ein Sieg der Verlegerlobby, letztendlich ein Kniefall der politischen Entscheidungsträger.«

Von der Knochenarbeit als Zustellerin allein kann Dagmar Scheller nicht leben. Halbtags arbeitet sie als Bürokraft. Zusätzlich geht sie putzen. Besser ergeht es den Familien, denen mit zwei Ausnahmen sämtliche Tageszeitungen mit einer Auflage von mehr als 200.000 Exemplaren gehören: Das manager magazin führt sie in der Liste der 500 reichsten Deutschen. Dagmar Scheller und viele andere müssen sich hingegen weiterhin Nacht für Nacht und Tag für Tag in prekären Jobs abrackern.