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Geballte Faust als Markenzeichen

erschienen in Clara, Ausgabe 4,

Der Mythos des italienischen Arbeitervereins AS Livorno und seines Kapitäns erreicht die Fraktion DIE LINKE

An den Eingängen des maroden Backsteinstadions werden den Fans ihre roten Fahnen abgenommen. Ein Mann im grünen Parka flucht wütend, in wenigen Minuten beginnt das drittletzte Saisonspiel gegen Genua. Es geht um alles, drei Punkte müssen her - im Kampf gegen den drohenden Abstieg. Doch die Einlasskontrollen sind streng. Grimmig dreinschauende Carabinieri kassieren auch die Che-Guevara-Wimpel und die Flaggen der Rifondazione Comunista ein. Das Symbol der italienischen Schwester der Linkspartei.PDS war bislang in der Nordkurve des AS Livorno allgegenwärtig. Denn der toskanische Erstligist ist nicht nur ein Sportverein.

Der Club ist eine der wenigen linken Bastionen im Fußballzirkus der italienischen Serie A. Bis nach Deutschland hat sich das Fußballmärchen herumgesprochen, die Geschichte von dem Kleine-Leute-Verein, der den Millionärsklubs und Berlusconis AC Mailand die Stirn bietet.

An diesem Freitagabend spielt Sampdoria Genua stark, vor 16500 Zuschauern ist die Mannschaft aus Ligurien mindestens gleichwertig. Die Entscheidung fällt erst in der 71. Spielminute, als Livornos Filippini zum erlösenden 1:0 trifft und dem Club den dringend benötigten Sieg beschert. Der Klassenerhalt ist gesichert. Darüber freut sich auch der bekennende Italien-Fan Bodo Ramelow (DIE LINKE). »Der FC
Livorno, seine Fans und seine Tradition bereichern die Seria A auch im nächsten Jahr«, so der 51-jährige Vize-Chef der Linksfraktion.

Von der Tribüne erschallt die Hymne der italienischen Partisanen

In der Hafenstadt Livorno gehören die roten Fahnen praktisch zur lokalen Identität. Gleich neben der Werft gründete Antonio Gramsci 1921 die Kommunistische Partei Italiens. Bei den Wahlen 2006 holten die linken Parteien unter den 150000 Einwohnern über 70 Prozent der Stimmen. Doch gerade im Stadion wird es für die Livornesi immer schwerer, Flagge zu zeigen. Seit es im Januar auf Sizilien zu schweren Fan-Krawallen kam, sind in Italien Transparente, Megafone und politische Symbole auf den Tribünen strengstens untersagt. »Die harten Gesetze vertreiben die Leute aus den Stadien«, beschwert sich Mannschafts-kapitän Cristiano Lucarelli. Er ist Sohn eines Hafenarbeiters, aufgewachsen in Livornos Armenviertel Shangai und bekennender Kommunist.

Nur das Singen kann man seinen Fans nicht verbieten. Als das Team in den dunkelroten Trikots vor dem Spiel gegen Genua einläuft, wird auf den Rängen »Bandiera Rossa« angestimmt. Gefolgt von »Bella Ciao«, der Hymne der italienischen Partisanen. Gänsehaut garantiert.

Aber was hat die Resistenza mit dem Kampf des AS Livorno um Punkte und Tore zu tun? In Italien sind Fußball und Politik schon immer eng miteinander verflochten. »Forza Italia«, die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, ist gar nach einem Stadionschlachtruf benannt. Zwar wurde der rechte Medienmogul 2006 an den Wahlurnen von Romano Prodis Linksbündnis geschlagen. Doch der Fußball bleibt weiter fest in rechter Hand. Berlusconi selbst ist Eigentümer des Serienmeisters AC Mailand, seine Getreuen wie Liga-Präsident Eduardo Galliani beherrschen den Verband. Über sein Medienimperium steuert der reichste Mann Italiens die Verteilung der Fernseheinnahmen. Noch in den neunziger Jahren hatten linke Fangruppen bei den Großvereinen in Mailand und Rom das Sagen, inzwischen dominieren rechte Hooligans dort die Stadien. »Der AS Livorno ist eine Art Gegenmodell«, sagt der Politologe Tomaso Tintor von der Universität Florenz, »ein bisschen echter Fußball inmitten der Korruption und der Geschäftemacherei in der italienischen Liga.«

Die geballte Faust zum kommunistischen Gruß

Tatsächlich widerspricht der Erfolg des Clubs aus der Toskana allen Regeln des modernen Fußballs, in dem Tore, Titel und Emotionen käuflich scheinen. Vierzig Jahre dümpelte der AS Livorno in den unteren Klassen, 2003 stieg er in die Serie A auf, in dieser Saison spielte der Verein erstmals im UEFA-Cup. Der Erfolg hat einen Namen: Cristiano Lucarelli. Der Stürmerstar ist der personifizierte Mythos des Clubs. Als der 32-jährige vor 14 Jahren Profi wurde, musste er zunächst die Stadt verlassen, weil Livorno nur über eine Amateurmannschaft verfügte. Aus der Jugendnationalmannschaft flog er raus, weil er beim Jubel nach dem entscheidenden Tor gegen Moldawien das Trikot ausgezogen und sein Guevara-Shirt gezeigt hatte. »Für mich ist der Che das Symbol für Freiheit und die proletarische Revolution«, kommentierte er später. Lucarelli tingelte durch Italien und Europa, mit dem FC Sevilla gewann er den spanischen Ligapokal. Doch dann stieg 2002 sein Heimatverein in die zweite Liga auf und der bullige Angreifer traf eine unglaubliche Entscheidung: Überraschend stieg er aus seinem gut dotierten Vertrag beim Erstligisten Turin aus und wechselte eine Liga tiefer - zum Außenseiter AS Livorno. Dort verdiente er rund 500000 Euro weniger im Jahr: »Andere Spieler kaufen sich für das Geld eine Yacht oder einen Ferrari. Ich habe mir eben das Trikot des AS Livorno gekauft.« Die italienische Sportpresse dagegen spottete: Das ewige Talent wolle wohl zurück zu seiner Mama. Doch Lucarelli antwortete auf seine Weise: Mit 29 Treffern schoss er in seiner ersten Saison den AS Livorno fast im Alleingang zum Aufstieg. In der Serie A setzte er die Erfolgsgeschichte fort: Noch vor den internationalen Stars holte er sich auf Anhieb die Torjägerkrone. In der laufenden Saison liegt er mit 18 Treffern derzeit auf Rang zwei der Torjägertabelle. »In Lovorno kann ich endlich der sein, der ich bin. Wir spielen für die Werftarbeiter, die die ganze Woche arbeiten und am Wochenende etwas Gutes sehen wollen«, erklärt Lucarelli den Durchbruch. Nach jedem Tor läuft er vor die Fankurve und reckt den jubelnden Fans die geballte Faust zum kommunistischen Gruß entgegen. Der Fußballverband reagierte mit saftigen Geldstrafen. Der Peppone des italienischen Fußballs musste dreimal mehr zahlen als Paolo di Canio von Lazio Rom, der im Stadion gerne den Hitlergruß zeigt.

Natürlich sind große Vereine weiter hinter dem roten Bomber her. Schon im Sommer 2006 bot der Gazprom-Club Zenit St. Petersburg Lucarelli einen Drei-Jahres-Vertrag an, insgesamt sollte er neun Millionen Euro verdienen. Doch im letzten Moment machte der Lokalpatriot einen Rückzieher, Livorno stand kopf. Nun verdichten sich Gerüchte über einen möglichen Wechsel zum italienischen Meister Inter Mailand. Lucarellis Spielervermittler Carlo Pallavicino erklärt: »Er hat sich in den letzten vier Jahren in Livorno aufgerieben. Er braucht eine Pause.« Außerdem sei die kommende Saison angesichts von Lucarellis Alter seine letzte Chance.

Lucarelli selbst schweigt dazu. »Wir geben jetzt alles für den Klassenerhalt von Livorno, darum geht es«, ist der einzige Kommentar des Capitano. Niemand weiß, ob er in der nächsten Saison noch das legendäre dunkelrote Trikot mit der 99 tragen wird - wahrscheinlich nicht einmal er selbst. Aber dass der Stürmer es lange bei einem anderen Club aushalten wird, glaubt in der Toskana auch keiner. Selbst Spielervermittler Pallavicino sagt: »Spätestens mit 35 kommt er wahrscheinlich zurück nach Livorno.« Und hoffentlich bald auch nach Deutschland. Die Fraktion DIE LINKE. suche zurzeit nach einem passenden Anlass, um den Stürmerstar einzuladen, verrät Fraktionsvize Bodo
Ramelow. Die Livorno-Fans in der deutschen Linksfraktion können sich freuen.

Damiano Valgolio / Ruben Lehnert