Zum Hauptinhalt springen

Frauen wollen selbst entscheiden

erschienen in Lotta, Ausgabe 13,

Deutschland

„In Deutschland ist in Vergessenheit geraten, dass Abtreibungen rechtswidrig sind!“ So beginnt eine von der Zeitschrift ideaSpektrum, Publikation des evangelikalen Dachverbandes Deutsche Evangelische Allianz, lancierte Petition an den Bundestag. Mitte Mai dieses Jahres hatten bereits mehr als 10.000 Menschen die Petition unterzeichnet. Die „Lebensschützer“ kritisieren, dass das Wissen um die Rechtslage über Schwangerschaftsabbrüche zu wenig verbreitet sei. Das finden auch Feministinnen problematisch, kommen allerdings zu entgegengesetzten Forderungen. Während radikale Abtreibungsgegner und Gegnerinnen ein „Recht auf Leben“ für Föten etablieren und die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch einschränken wollen, skandalisieren Feministinnen, dass Abtreibung ein im Strafgesetzbuch aufgeführtes Tötungsdelikt ist und fordern ein Recht auf dieses medizinisch unproblematische Verfahren. In Deutschland ist Abtreibung nämlich keineswegs ein Recht, sondern eigentlich verboten und nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt - unter anderen wird der Rechtsbruch nicht strafverfolgt, wenn sich die Schwangere einer Beratung ausgesetzt und danach drei Tage gewartet hat. Diese Petition stellt nur einen Versuch der „Lebensschützer“ dar, den realen Zugang zu einem Abbruch zu erschweren. Ein anderer war der Vorstoß des bekennenden Christen Thomas Börner, Gynäkologie-Chefarzt der Capio-Elbe-Jeetzel-Klinik im niedersächsischen Dannenberg, seiner ganzen Abteilung zu untersagen, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Dies löste große öffentliche Aufregung aus und bewegte die Klinikleitung zu der Klarstellung, dass auch ein Chefarzt eine solche Befugnis nicht hat. Es handelt sich um eine Gewissensentscheidung, die jede Ärztin und jeder einzelne Arzt für sich treffen kann und muss, dies kann nicht verordnet werden. Börner hat daraufhin seine Stelle aufgegeben.

Polen

Reproduktive Rechte sind nicht Teil der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, weswegen auch Staaten mit nahezu vollständigem Abtreibungsverbot Mitglied in der EU sein können und der EU auch bei den verschiedenen drohenden Gesetzesverschärfungen die Hände gebunden sind. Gesetzesverschärfungen wie in Polen, wo im vergangenen Jahr Abtreibungsgegner und -gegnerinnen eine Initiative bis ins Parlament brachten, die alle Abtreibungen außer wegen Lebensgefahr der Schwangeren unter Strafe stellen sollte. Schon das bestehende Gesetz ist sehr restriktiv. Es erlaubt Abbrüche nur, wenn Gesundheit oder Leben der werdenden Mutter in Gefahr sind, wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung entstanden ist oder wenn eine schwere Behinderung des Fötus diagnostiziert wurde. Aber nicht mal in diesen Fällen sind Abbrüche auch tatsächlich möglich. Frauenrechtsorganisationen gehen schon jetzt von 200.000 illegalen und oft lebensgefährlichen Abtreibungen jährlich aus. In den an Polen grenzenden deutschen Bundesländern ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche von Frauen aus dem Ausland stark angestiegen: In Brandenburg waren es im Jahr 2005 noch 56 solcher Abtreibungen, im Jahr 2015 wurden über 700 Schwangerschaftsabbrüche bei Frauen ohne deutschen Pass vorgenommen. Unter dem Motto Czarny Protest (Schwarzer Protest) mobilisierten Frauenrechtsgruppen und linke Parteien erfolgreich gegen das Gesetzesvorhaben. Doch die Gefahr ist noch nicht gebannt - die mit absoluter Mehrheit regierende PiS hat angekündigt, einen eigenen Entwurf zur Verschärfung des Gesetzes vorzulegen.

Italien

Aber auch die individuelle Gewissensentscheidung kann dazu führen, dass Ärztinnen und Ärzte, die zu einer Abtreibung bereit sind, nur noch schwer zu finden sind. Obwohl Schwangerschaftsabbrüche in Italien seit fast 40 Jahren legal sind, verweigern ihn mittlerweile sieben von zehn Medizinerinnen und Mediziner, in einigen Krankenhäusern mehr als 90 Prozent der Gynäkologinnen und Gynäkologen. Das Gesundheitsministerium schätzte die Zahl heimlicher Abtreibungen im Jahr 2014 auf rund 15.000. Das Problem scheint nicht so sehr auf den Katholizismus zurückzuführen zu sein, auch sind nicht alle italienischen Krankenhäuser fest in der Hand von „Lebensschützern“. Die „Vereinigung italienischer Gynäkologinnen für die Umsetzung des Rechts auf Abtreibung“ (Laiga) verweist stattdessen auf einen fatalen Selbstläufer des Systems: Da es nur noch so wenige gibt, werden die nichtverweigernden Ärzte oft nur noch für Abtreibungen eingesetzt. Da dies aber nicht ihrer Vorstellung vom Beruf entspricht und auch die Karriere ruinieren kann, verweigern sich mittlerweile viele. Italien wurde wegen dieser Entwicklung und ihrer problematischen Folgen für die reproduktiven Freiheiten von Frauen bereits mehrfach von der europäischen Ebene gerügt, verbessert hat sich aber nichts.

USA

In den USA werden Schwangerschaftsabbrüche nicht über ein Gesetz sondern über ein Gerichtsurteil ermöglicht. In dem Fall Roe v. Wade entschied der Supreme Court 1973, dass das Recht auf Privatsphäre auch das Recht auf Schwangerschaftsabbruch beinhalte. Mit der Ernennung des konservativen Richters Neil Gorsuch für den Supreme Court hat US-Präsident Donald Trump das Bestreben der US-amerikanischen „Lebensschützer“ nach einer Revision dieses Urteils wahrscheinlicher werden lassen. Das Gericht ist auch für die Prüfung von bundesstaatlichen Gesetzen verantwortlich. Hier sind Abtreibungsgegner und -gegnerinnen seit Jahren eifrig damit beschäftigt, restriktive Regelungen voranzutreiben. In Oklahoma liegt beispielsweise ein Gesetzesentwurf vor, der Schwangere verpflichten soll, die Zustimmung des Erzeugers für einen Abbruch vorzulegen. 26 Staaten verlangen mittlerweile einen Ultraschall, bevor eine Abtreibung erfolgen kann. In sechs Staaten muss der Monitor zur Schwangeren gedreht sein und die Ärztin bzw. Der Arzt muss detailliert beschreiben, was zu sehen ist. Acht Bundesstaaten schreiben vor, die Schwangere über die angeblichen langfristigen Gesundheitsgefahren von Schwangerschaftsabbrüchen zu „informieren“. Eine der ersten Amtshandlungen von Trump war die Wiedereinsetzung der „Global Gag Rule“. Mit diesem Dekret werden den Nichtregierungsorganisationen, die Schwangerschaftsabbrüche oder auch nur Informationen darüber anbieten, die finanziellen Mittel der US-Regierung gestrichen. Mitte Mai 2017 wurde die Regelung noch ausgeweitet. Sie gilt nun auch für Organisationen, die sich in der Aids-Hilfe, gegen Malaria und für die Gesundheit von Müttern und Kindern engagieren. Nach Angaben des Außenministeriums betrifft dies Zusagen in Höhe von 8,8 Milliarden US-Dollar. Diese Maßnahme könnte vielen Frauen und Kindern im Globalen Süden das Leben kosten. Sie sind durch die häufig strikten Abtreibungsverbote ohnehin gefährdet. Beinahe alle Toten aufgrund unsicherer Abtreibungen sterben im Globalen Süden, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent. Das Guttmacher-Institut schätzt ihre Zahl auf zwischen 22 500  und 44 000 im Jahr. Dieses menschliche Drama lässt sich nur  verringern, wenn das Bewusstsein dafür steigt, dass Abtreibungsverbote und Zugangsbeschränkungen Menschenrechtsverletzungen sind.

Kirsten Achtelik

El Salvador

In El Salvador wird eines der weltweit schlimmsten Abtreibungsgesetze praktiziert. Frauen können aufgrund einer angeblichen oder wirklichen Abtreibung mit bis zu 30 Jahren Gefängnis bestraft werden. Guadalupe Vásquez (28 Jahre) war eine von 17 Frauen, die nach einer Fehlgeburt als Kindsmörderin zu einer 30-jährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Im Jahr 2015 stimmte das Parlament ihrer Begnadigung zu. Harald Petzold sprach während eines Besuchs in El Salvador mit ihr.

 Was war passiert, dass Sie verurteilt wurden?

Das war im Jahr 2007, ich war gerade 18 Jahre und schwanger. Auch während der Schwangerschaft musste ich hart als Zimmermädchen arbeiten. Die Wehen setzten plötzlich ein. Niemand war da, der mir helfen konnte. Ich erlitt ich eine Fehlgeburt, kann mich nur noch daran erinnern, dass das Kind kam, ich auch einen Schrei hörte, ganz kurz. Danach wurde ich ohnmächtig. Später wurde ich in ein Krankenhaus gefahren und dort verhaftet. Sie behaupteten, ich hätte das Kind getötet. Aber das stimmt nicht. Ich wäre gar nicht fähig dazu gewesen.

Was haben Sie im Gefängnis erlebt?

Das Schlimmste im Gefängnis war der soziale Druck durch die anderen Mitgefangenen. Sie behandeln dich wie das Letzte. Wir galten als Kindsmörderinnen, was Schlimmeres gibt es in der sozialen Hierarchie des Frauengefängnisses nicht. Das ging die ganzen sieben Jahre so, bis zu meiner Freilassung 2015. Jeden Tag, 24 Stunden lang. Diese Anfeindungen  musste man sich teilweise von richtigen Mörderinnen gefallen lassen. Besuch im Gefängnis gab es nicht, wir waren ganz auf uns allein gestellt. Von den anderen verurteilten Frauen hatten einige ja auch noch Kinder zuhause. Die durften  sie nicht mehr sehen, seitdem sie im Gefängnis waren. Das ist so ein weiterer Schmerz, der dir zugefügt wird.

Was müsste sich ändern?

Ich bin ja nicht die einzige. Es gibt weitere Fälle. Alle diese Frauen sind unschuldig im Gefängnis, so wie ich es auch war. Das darf man doch nicht hinnehmen. Der Präsident sollte sich persönlich für uns einsetzen. Zurzeit liegen dem Parlament zwei Vorschläge vor. Der eine sieht vor, Frauen wie mich sogar für 50 Jahre ins Gefängnis zu stecken. Der andere Vorschlag will wenigstens Ausnahmen bei diesem fürchterlichen Gesetz zulassen. So eine Ausnahmeregelung hätte uns damals sehr helfen können. Wichtig wäre darum, dass die bisherigen Fälle bei diesem Vorschlag rückwirkend mit berücksichtigt werden. Ansonsten bleiben die anderen bislang verurteilten Frauen leider in Haft.

Harald Petzold ist queerpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE