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Frauen können niemals sicher sein

erschienen in Clara, Ausgabe 32,

Europaweit gibt es ein Rollback bei Frauenrechten. Sexuelle Selbstbestimmung aber ist ein Menschenrecht, sagt das gleichnamige Bündnis

Ines Scheibe ist Psychologin, sie leitet die Schwangerschaftskonfliktberatung beim Humanistischen Verband Berlin. Seit 1993 berät ihr Team – noch bestehend aus Sozial- und Sexualpädagoginnen – Frauen und Paare bei Fragen und Schwierigkeiten in der Schwangerschaft, aber auch nach der Geburt. Sie hören zu, klären auf, verweisen auf Rechte und Wege für Hilfen und Unterstützung. Auch bei der Pflichtberatung vor einem Schwangerschaftsabbruch. »Eigentlich dachten wir, für uns Frauen sei alles geregelt, wir sind geschützt in unseren Rechten«, sagt Ines Scheibe. Die Fristenlösung mit vorheriger Beratung gibt es für Frauen im vereinigten Deutschland seit 1993. Natürlich wäre die Streichung des über einhundert Jahre alten Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch – so wie für die Ostfrauen schon mal gültig – allen Beraterinnen lieber gewesen, aber die »Pflicht« wurde nach anfänglicher Empörung als notwendiger Termin akzeptiert. »Seit geraumer Zeit jedoch verändert sich etwas«, erzählt Ines Scheibe. »Auf leisen Sohlen, schleichend kam Verunsicherung bei den Frauen, dann wurden die Angriffe von selbsternannten Lebensschützern immer dreister und massiver.« Es sind Angriffe auf das Recht zum Schwangerschaftsabbruch in groben Schlagwörtern: »Tötungszentren«, »Euthanasie« oder »Babycaust« heißt es auf Webseiten der Abtreibungsgegner. Aber auch Türen und Briefkästen von Familienplanungszentren, Beratungsstellen oder Arztpraxen werden mit gleichlautenden Aufklebern übersät. »Das ist Einschüchterung, verunsichert die jungen Frauen zusätzlich, die ohnehin schon mit einem großen Schamgefühl in die Beratung kommen«, fasst Ines Scheibe die Situation zusammen. Dazu kommt: Waren anfänglich einige hundert fundamentale Abtreibungsgegner mit weißen Kreuzen in Berlin zum sogenannten »Marsch für das Leben« auf der Straße, demonstrierten im letzten Jahr zwischen drei- und viertausend. »Da kann man nicht stillbleiben«, sagt Ines Scheibe, und gemeinsam mit anderen gründete sie im August 2013 das Berliner Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung. pro familia in Berlin und Brandenburg sind dabei, der Lesben- und Schwulenverband, Terre des Femmes, Mädchenmannschaft, DIE LINKE. Berlin und viele weitere Organisationen, Vereine und Einzelpersonen. Im September 2013 gab es die erste laute, bunte und lebensbejahende Demonstration mitten in der Hauptstadt. »Leben und Lieben ohne Bevormundung« heißt das Motto auch in diesem Jahr. Am 21. September 2014 wollen sich auf Einladung des Berliner Bündnisses Frauen und Männer, Familien mit ihren Kindern, MitstreiterInnnen von Wohlfahrtsverbänden, sozialen Trägern, außerparlamentarischen Gruppen zu einer bundesweiten Kundgebung zusammenfinden. »Denn«, so Ines Scheibe, »sexuelle Selbstbestimmung ist viel mehr als das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch. Andere Lebensweisen, Regenbogenfamilien, auch die freie Wahl einer Hebamme zählen dazu. Für diese Menschenrechte gehen wir auf die Straße.«