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Frauen – die unbekannten Wesen?

erschienen in Querblick, Ausgabe 17,

Interview mit Marianne Rademacher, Frauenreferentin der Deutschen AIDS-Hilfe.

In der Gesundheitsforschung 
und bei der Behandlung werden Frauen oft zurückgestellt oder gar vergessen. Inwieweit werden Frauen im HIV/Aids-Bereich als Menschen zweiter Klasse behandelt?

Marianne Rademacher: Die meisten medizinischen Studien im HIV/Aids-Bereich konzentrieren sich weiterhin auf Männer. Dementsprechend fordern viele Expertinnen 
und Frauen, die mit HIV leben, 
mehr frauenspezifische Forschung. 
Die Lebensumstände von Frauen unterscheiden sich jedoch häufig 
von denen der Männer, und frauen-spezifische Studiensettings müssen entsprechend gestaltet werden.

Auf welchen Wegen infizieren sich Frauen mit HIV in 
Deutschland?

Zu Beginn der Epidemie spielte der intravenöse Drogengebrauch eine große Rolle. Heute infizieren sich die meisten Frauen über heterosexuellen Sex. Die Herkunft aus Ländern, in denen HIV/Aids besonders stark verbreitet ist, spielt auch eine Rolle.

Wie sieht eine sinnvolle Präventionspolitik für Frauen aus?

Frauen sind eine sehr uneinheitliche Zielgruppe. Deshalb sind sie aufgrund unterschiedlichster Lebensumstände und Lebensbedingungen mehr oder weniger von HIV bedroht oder betrof
fen. Die DAH setzt also Schwerpunkte in der frauenspezifischen Präventionsarbeit beispielsweise im Bereich Sexarbeit, Migration und Drogengebrauch.

Ein Übertragungsrisiko bei lesbi
schem Sex ist extrem niedrig. Inwieweit werden lesbische Frauen bei der Thematik HIV-
Prävention und -Forschung dann überhaupt berücksichtigt?

Beim Thema HIV-Prävention und Forschung wird in der Tat noch davon ausgegangen, dass das Übertragungsrisiko für Lesben sehr gering 
ist. Generell kann gesagt werden, dass das Ansteckungsrisiko beim 
Sex mit Frauen davon abhängt, was ich tue und welche Sexualpraktiken ich bevorzuge.

Die Deutsche AIDS-Hilfe hat mit der Broschüre »Frauenlust« eine Safe-Sex-Broschüre für »Frauen, die Sex mit Frauen haben« herausgebracht. Darin taucht 
das Wort lesbisch nicht auf, und es geht vielfach um Heterosex, 
zu dem man ja nun wirklich auch in anderen Broschüren Informationen finden könnte. Warum?

Da es sich bei der Broschüre »Frauenlust« um eine Broschüre 
zur Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten handelt, werden entsprechende Übertragungswege beschrieben, die unabhängig von der sexuellen Identität sind. So kann es für Frauen, die Sex mit Frauen haben (ob lesbisch oder nicht), zu riskanten Situationen kom
men. Besonders wichtig finde ich auch, dass es viele Krankheiten gibt, die sehr leicht übertragbar sind, auch wenn Frau ausschließlich Sex mit Frauen hat.

War es im Fall der »No Angels«-Sängerin Nadja Benaissa eher schädlich, einen HIV-infizierten Promi derart anzuprangern, oder war dieses Beispiel geeignet, mehr öffentliche Wahrnehmung für das Thema HIV bei Frauen zu erzeugen?

Für Nadja B. persönlich war die mediale Hexenjagd sicher sehr schädlich. Natürlich wurde das Thema für eine kurze Zeit öffentlich mehr wahrgenommen, allerdings 
fast ausschließlich im Kontext von Kriminalisierung und Diskriminierung. Dies ist jedoch kontraproduktiv für eine wirksame HIV/Aids-Prävention.

Das Interview führte Manuela Kay, Chefredakteurin der Zeitschrift »L-Mag« 

 

»Nach derzeitiger Kenntnis muss davon ausgegangen werden, dass von einem effektiv antiretroviral behandelten HIV-Infizierten in der Regel kein medizinisch relevantes Infektionsrisiko für seine Sexualpartner ausgeht.« Dies bestätigte uns die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage »Zur Strafbarkeit eines Sexualkontakts von HIV-infizierten und unter Therapie stehenden Menschen mit einem negativen oder unbekannten Serostatus«. Doch leider positioniert sie sich nicht zu möglichen Strafverfahren. Und dies im Wissen, dass viele Staatsanwaltschaften weiterhin in Verkennung der Sachlage therapierte HIV-Positive anklagen und diese von unwissenden Richterinnen und Richtern verurteilt werden. Dies ist widersprüchlich und bitter für die Betroffenen.   Barbara Höll, MdB