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Fliegen auf Kosten des Personals

erschienen in Clara, Ausgabe 47,

Claudia S.* ist Flugbegleiterin. Sie sitzt in dem Café am Bremer Hauptbahnhof, in dem alles anfing. Im November 2017, da arbeitete sie noch für die Billigairline Ryanair, traf sie sich hier mit Gewerkschaftsvertretern von ver.di. Es ging um bessere Arbeitsbedingungen für das Kabinenpersonal von Ryanair. Ein Jahr später, im November 2018, wurde ihr Dienstort, die Basis der Fluglinie in Bremen, geschlossen. »Ich liebe diesen Job, immer noch«, sagt die 38-Jährige. Mehr als ein Jahrzehnt flog sie für Ryanair, und jetzt hat sie alles verloren: die Anstellung, das Einkommen, ihr Team.

Auch Karina T.* arbeitet für das Unternehmen. Ursprünglich wollte sie Sprachen studieren. Die Stellenausschreibung für die Cabin Crew von Ryanair kam wie gerufen. In fremden Welten unterwegs sein, das gefiel ihr. An ihre erste Station in Schweden erinnert sie sich gern: »Ich hatte dort ein richtig gutes Training und tolle Kollegen.« Heute fliegt Karina T. für die Ryanair am Standort Berlin-Schönefeld. Beide Flugbegleiterinnen engagierten sich in der Tarifkommission des Kabinenpersonals.

Billig! Für wen?

Ryanair ist, gemessen an Passagierzahlen und Profit, Europas erfolgreichste Airline. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Dublin bietet Flüge von insgesamt 92 Stützpunkten in 37 Länder Europas und Nordafrikas an. Nur durch extreme Einsparungen kann und konnte das irische Flugunternehmen so niedrige Preise anbieten. Bekannt ist Ryanair für die extrem günstigen Flugtickets. Billig fliegen, das freut selbstverständlich den Verbraucher. Doch wer zahlt am Ende den Preis? Welcher Druck lastet auf dem Personal? Mit welchen Verträgen und Gehältern werden sie abgespeist? Und unter welchen Bedingungen arbeiten sie? Details darüber und warum Piloten und das Kabinenpersonal streikten, erfuhren linke Abgeordnete als einige Ryanair-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter im Herbst 2018 im Bundestag zu Gast waren.

So wird gleiche Arbeit im Unternehmen unterschiedlich bezahlt. Nur ein kleiner Teil des Kabinenpersonals ist direkt bei Ryanair angestellt, der Großteil wird über Leiharbeitsfirmen, beispielsweise über »Crewlink«, beschäftigt. Letzterer erhält keine Grundvergütung, und bezahlt werden nur die Stunden, die sie tatsächlich in der Luft verbringen. Karina T. erklärt, »die Uhr läuft in dem Moment, in dem die Bremsklötze gelöst werden, und stoppt im selben Augenblick, wenn sie am Zielflughafen wieder angelegt werden«. Die Vorbereitungszeit an Bord bleibt unbezahlt.

Zusätzlich wendet Ryanair häufig das schwächere irische Arbeitsrecht an, auch für diejenigen, die in Deutschland stationiert sind. Das erlaubt es Ryanair, im Krankheitsfall keinen Lohn zu zahlen. Wer öfter fehlt, wird nach Dublin in die Konzernzentrale zum Mitarbeitergespräch zitiert. Einige Angestellte zahlen ihre Sozialabgaben und Steuern in Irland, andere in ihren Heimatländern. Dazu käme, sagt Claudia S., dass das Unternehmen »den Unterschied zwischen Brutto- und Nettogehalt, der ja besonders in Deutschland entscheidend ist, nicht deutlich« mache. Aufgrund des irischen Arbeitsrechts kann das Kabinenpersonal kurzfristig in jede andere europäische Basis versetzt werden.

Personal gesucht! Aber wo?

Neues Personal sucht Ryanair vor allem in Spanien, Portugal und Italien. Das sind Länder, in denen sich die Perspektiven junger Menschen seit Jahren rasant verschlechtern. Sie seien froh über jedes Jobangebot. Viele wünschen sich eine Ryanair-Basis in der Nähe ihres Heimatlandes. Trotzdem werden sie oftmals weit entfernt davon eingesetzt. Claudia S. erzählt, »jede und jeder darf einen Antrag auf einen Transfer zu einer anderen Basis stellen«. Ryanair lockt mit dem Versprechen: Wer erfolgreich verkauft, wenige Fehltage aufweist, hat gute Chancen auf solch einen Transfer. Tatsache jedoch ist, gerade für südeuropäische Standorte ist die Liste der Bewerber besonders lang. »Es warten ungefähr 400 auf einen Platz in einer der portugiesischen Basen.«

Billigflieger, davon gibt es noch andere. Auch easyJet verkauft günstige Flugtickets. Der Unterschied, so Claudia S., »sie tun es nicht auf Kosten des Personals«. Und ihre Kollegin beobachtet, seitdem sie in Berlin arbeitet, dass Monat für Monat 20 bis 30 ehemalige Ryanair-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter zu Konkurrenzunternehmen wechseln. Sie will bleiben und weiter für bessere Arbeitsbedingungen bei Ryanair kämpfen. Unter anderem durch die Gründung eines Betriebsrates. Einen entsprechenden Antrag dafür brachte die Fraktion DIE LINKE ins Parlament ein. Denn für das fliegende Personal sind Interessenvertretungen bisher nur über einen Tarifvertrag möglich. Darüber hinaus geht es um auskömmliche Löhne und Verträge nach deutschem Arbeits- und Sozialrecht. Dadurch würden die Beschäftigten unter anderem Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall erhalten und unter den deutschen Kündigungsschutz fallen.

Der Streik der Piloten und des Kabinenpersonals, flankiert von einer zielgerichteten Öffentlichkeitskampagne, brachte die erhoffte mediale Aufmerksamkeit. Er zwang das Unternehmen an den Verhandlungstisch mit den Gewerkschaften. Erste Eckpunkte für Tarifverträge beider Beschäftigungsgruppen wurden in der Weihnachtszeit bekannt. Wann die Verhandlungen abgeschlossen sein werden, stand bis zum Redaktionsschluss noch nicht fest.

Teures Parkticket, billiges Flugticket

Beide Flugbegleiterinnen sind stolz darauf, dass sich viele Piloten und Kabinenangestellte an den Streiks beteiligten. Für Claudia S. bleibt jedoch ein bitterer Beigeschmack. Sie und ihre Cabin Crew streikten auch, am Ende schloss Ryanair die Basis in Bremen. Sie und etwa 20 weitere wurden entlassen, insgesamt verloren 40 Angestellte ihren Job. Das macht der Flugbegleiterin zu schaffen, selbst Monate später noch. Beim Erzählen kämpft sie mit den Tränen. Bei Ryanair sieht Claudia S. für sich keine Perspektive mehr. Sie hofft, für sich und ihre entlassenen Kolleginnen und Kollegen wieder Arbeit zu finden. Darüber hinaus wünscht sie sich aber auch eine Sensibilisierung bei den Passagieren. »Ein Flugticket für 5 Euro nach Málaga. Wie kann das gehen? Für den Parkschein habe ich gerade 4 Euro bezahlt.« 

(*Namen geändert, Red.)