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Everybody’s Darling?

erschienen in Querblick, Ausgabe 4,

Gesine Lötzsch wird von vielen geschätzt und von manchen gefürchtet

Montags ging gar nichts! Es gab Zeiten, da bekam man montags einfach keinen Termin bei ihr. Sie hatte die Zeit reserviert für Anti-Hartz-Demonstrationen. Gesine Lötzsch hatte fast keine Kleinstadt im Osten ausgelassen. Manchmal sprach sie vor 500 Menschen, manchmal vor 50. Bürger wandten sich nach den Demonstrationen an die Abgeordnete aus Berlin und schilderten hoffnungslose Schicksale. Die Erwartungen waren hoch und die Möglichkeiten begrenzt. So etwas prägt. Ihre Reden im Bundestag hatten eine Schärfe, die Bundestagsabgeordnete anderer Fraktionen irritierten. Doch die Reaktionen von Fernsehzuschauern und Bürgern auf der Straße waren positiv. Sie hatten das Gefühl, dass es der PDS-Haushälterin nicht in erster Linie um kalte Zahlen, sondern um Menschenschicksale ging.

Auf der Höhe der Hartz-Proteste waren Gesine Lötzsch und Petra Pau die einzigen Abgeordneten, die gegen die unsoziale Agenda 2010 im Bundestag die Stimme erhoben. Die Bundestagswahl zeigte, dass die beiden Frauen nicht auf verlorenem Posten kämpften. Der Wahlsieg 2005 war auch ein Sieg der beiden PDS-Bundestagsabgeordneten. Gesine Lötzsch gewann zum zweiten Mal ihren Wahlkreis in Lichtenberg direkt. Der Bezirk ist eine Hochburg ihrer Partei, doch Selbstläufer gibt es nicht, wie die Linkspartei bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2006 bitter erfahren musste.  Die Wählerinnen und Wähler in Lichtenberg sind ausgesprochen anspruchsvoll und erwarten von ihrer direkt gewählten Abgeordneten, dass sie nicht nur am Wahltag, sondern im Alltag vor Ort ist und mit ihnen Problem löst. Termine im Wahlkreis haben für die Lichtenbergerin, die zusammen mit ihrem Mann in einer schönen Plattenbauwohnung lebt, absolute Priorität. Da wird auch schon mal ein Termin mit einem Staatssekretär verschoben. Wenn sie dann in den Bundestag zurückkommt, verteilt sie unter ihren Mitarbeitern reihenweise Prüfaufträge.

Auf jede Bürgeranfrage muss es eine ordentliche Antwort geben. Wenn sie etwas besonders unerträglich findet, dann ruft sie gleich selbst beim zuständigen Staatssekretär an. So geschehen, als die Bundeswehr am 8. Mai, am Tag der Befreiung, ihren Musikern verbot, im Deutsch-Russischen Museum zu spielen. Es gebe keinen Grund zu feiern, so die Antwort aus dem Verteidigungsministerium. Gesine machte parlamentarischen Druck. Die Bundeswehr hat bereits öffentlich erklärt, dass sie ihr Verhalten überdenken wird.

Jammern und klagen sind ihr völlig fremd – auch Sätze, die mit »man sollte, man müsste« beginnen, bringen sie in Rage. Als Neonazis in Halberstadt Schauspieler verprügelten, charterte sie einen Reisebus und fuhr mit Abgeordneten, Mitarbeitern und Bürgern aus ihrem Wahlkreis nach Thale, um die Schauspieler beim Spiel zu erleben, danach mit ihnen ein Bier zu trinken und darüber zu diskutieren, wie man gemeinsam dem braunen Geist entgegentreten kann. Gesine Lötzsch hatte einfach die Nase voll von den üblichen Presseerklärungen nach Naziübergriffen. Sie macht Politik zum Anfassen.

Wenn es um Ostdeutschland geht, dann will Gesine Lötzsch es von der Bundesregierung immer ganz genau wissen. Das bringt die zuständige Verwaltung in die Nähe des Nervenzusammenbruchs. Ein Staatssekretär mit Ostbiografie forderte sie in aller ihm zur Verfügung stehenden Schärfe auf, die Anzahl der parlamentarischen Anfragen zu reduzieren. Gesine Lötzsch klärte ihn freundlich über ihre Rechte auf und ließ den Staatssekretär sitzen. Nein, Gesine Lötzsch ist nicht Everybodys Darling, das wissen ihre politischen Gegner und das schätzen ihre Wählerinnen und Wähler.
Klaus Singer