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Es gab ein Leben vor Hartz IV

erschienen in Clara, Ausgabe 7,

Eine gigantische Welle der Enteignung und Entwürdigung vieler Millionen Menschen rollt unaufhörlich über dieses Land hinweg. Die Hartz-IV-Gesetzgebung hat sich verselbstständigt. Kein Amtsleiter, kein Politiker der Hartz-IV-Parteien weiß mehr, was da eigentlich wirklich passiert. Die Bürokratie erfindet sich jeden Tag neu. Kein Mensch kann von Hartz IV leben. Auch uns hat es getroffen. Nach 12 Jahren familiärer Pflegebegleitung wollten meine Freundin und ich wieder in unseren Berufen als Kinderkrankenschwester und Sozialpädagogin arbeiten. 2002, da waren wir 48, heute sind wir 53 Jahre. Inzwischen sind wir finanziell am Ende und unsere Kräfte erschöpft.

Hätte Franz Kafka nicht seinen Roman »Das Schloss« schon geschrieben, würde er es jetzt tun. Das Buch hieße »Die ARGE«. Ein Gesetz hebelt das andere aus, Anträge beantragen, um Anträge stellen zu können. Der Mensch als eigenverantwortliches Ich mit einer Lebens- und Berufsbiografie wird ausgelöscht in dem Moment, in dem er oder sie arbeitslos wird. Nach einem Jahr Arbeitslosengeld dann der Absturz in Hartz IV. Der erste Gang zur ARGE ist der Beginn eines langsamen und schleichenden Selbstauflösungsprozesses aller Lebensimpulse. Einmal hineingeraten in die Mühlen der Arbeitsagentur, kommt man als denkender Mensch nach und nach zu der Erkenntnis, je mehr man sich anstrengt und aktiv mitarbeitet, umso mehr absurde Bestimmungen werden aus den Schubladen bzw. PCs gezogen und machen im Grunde einfache Lösungen zu unüberwindlichen Hürden. Hartz IV wurde nicht erfunden, um Menschen eine neue würdige Arbeit zu geben. Die Menschen sollen das Fürchten lernen in einem unüberschaubaren System.

Meine Freundin bekam die Möglichkeit, in einem Sanitätshaus zu arbeiten. Die Chefin fordert ein 5-tägiges, unbezahltes Praktikum. Wenn alles gut liefe, würde im Anschluss ein Arbeitsvertrag vereinbart. Meine Freundin willigt ein. Am Ende der Woche gibt es keinen Arbeitsvertrag, sondern die Information, dass die nächste Praktikantin käme. Da meine Freundin seit über 2 Jahren von Hartz IV leben muss, konnte sie nicht einmal die Benzinkosten bezahlen. Sie lieh sich das Benzingeld von Freunden. Eine Odyssee von Telefonaten und Besuchen bei der ARGE beginnt. Die Reisekosten werden erst nach 3 Monaten bewilligt. Darüber lacht der zuständige Arbeitsberater. Die Frage, wie ein Mensch mit 347 Euro im Monat Rücklagen für Benzingeld ansparen soll, überhört er.

Die damalige rot-grüne Regierung hat einen furchtbaren Apparat in Gang gesetzt, der von der bestehenden Großen Koalition weiter perfektioniert wird. Viele Hartz-IV-Empfänger verschulden sich, um überhaupt noch leben und sich weiter bewerben zu können. Irgendwann nach der zweihundertsten Bewerbung gibt man auf, wird krank von der Kränkung, immer wieder abgelehnt und weggeschickt zu werden trotz bester Fachkompetenzen und Lebenserfahrungen.
Ja, es gab ein Leben vor Hartz IV. Beruf, Familie, Freunde, Ferien, Feiern, Zukunft. Um leben zu können, braucht man ein Grundmaß an Verlässlichkeit, um für sich und seine Kinder planen zu können.

Hartz IV ist menschenverachtend, unintelligent und unproduktiv. Es gibt bessere Ideen, eine globale und multikulturelle Gesellschaft menschlich und sozial zu gestalten.