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Eine Schule für alle

Von Rosemarie Hein, erschienen in Clara, Ausgabe 21,

Bildung ist ein Wert. Im Gespräch Rosemarie Hein, diplomierte Pädagogin,promovierte Gesellschaftswissenschaftlerin und bildungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE

Was ist das Hauptproblem am bestehenden Schulsystem?

Rosemarie Hein: Durch die frühe Gliederung in unterschiedliche Bildungsgänge werden viele Kinder ausgegrenzt. Etwa 60 000 Schülerinnen und Schüler verlassen jährlich die Schule ohne jeden Schulabschluss, fast eine Viertelmillion sogar, ohne wenigstens einen mittleren Schulabschluss erreicht zu haben. Das sind vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien, für die es um ein Vielfaches schwerer ist, den Weg zum Abitur zu schaffen. Damit werden ihre Berufs- und Lebenschancen enorm eingeschränkt, und das ist nicht hinnehmbar. Zudem hat gerade der jährliche OECD-Bericht festgestellt, dass Deutschland immer noch unterdurchschnittlich Geld in die Bildung steckt. Mit 4,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – der OECD-Durchschnitt liegt bei 5,9 Prozent – hungert Deutschlanddas Bildungssystem buchstäblich aus.

Oft wird die Kleinstaaterei beklagt, denn Bildung ist Ländersache.

Eigentlich haben alle Länder dieselbe Pflicht, ein hochwertiges Bildungssystem zu errichten und die Vergleichbarkeit der Bildungsergebnisse zu sichern. Das gestaltet sich aber schwierig, weil einige Länder beharrlich an überlebten Formen festhalten wollen und andere bei der Erneuerung des Schulsystems bremsen. Das war schon bei der Einführung der Gesamtschule so und hat sich bis heute fortgesetzt.

Wäre es dann nicht besser, den Ländern die Zuständigkeit für Bildungspolitik zu entziehen?

Das wäre wenig hilfreich, denn wir leben in einer Welt der Vielfalt. Schule sollte stattdessen künftig besser in der Lage sein, vielfältige individuelle Bildungsinteressen zu befriedigen. Da würde ein zentralistisches Bildungssystem auch nicht helfen, denn die Unterschiede bestehen schon zwischen Schule und Schule.

Was kann auf Bundesebene getan werden?

Es bedarf gemeinsamer Vereinbarungen und Bildungsstandards, die für alle gelten und die den Weg für ganz unterschiedliche Schulprogramme öffnen. Dazu braucht es zwischen den Ländern mehr gegenseitige Akzeptanz, nicht mehr Regeln. Was aber alle brauchen, ist mehr Geld für die Bildung. Bildung muss wieder eine gesamtstaatliche Aufgabe sein und durch Bund, Länder und Kommunen gemeinsam finanziert werden. Besonders aus dem Bundeshaushalt muss deutlich mehr Geld in die Bildung fließen. Aber mit der Föderalismusreform aus dem Jahr 2006 haben sich die Länder selbst den Geldhahn zugedreht. Seitdem darf der Bund kaum noch Bildungsaufgaben mitfinanzieren. Das muss zurückgenommen werden. Die meisten Länder sind inzwischen auch dazu bereit. Das wäre zumindest ein erster Schritt.

Welche Konzepte hat DIE LINKE?

Für alle Veränderungen in der Bildungspolitik braucht man die Akzeptanz der Bevölkerung. Politische Mehrheiten allein reichen nicht aus. Darum erklären wir geduldig den Vorteil des gemeinsamen Lernens. Viele Vereine, Verbände, Gewerkschaften, Initiativen und Erziehungswissenschaftler sehen das heute schon so, heben die Vorteile von Bildungssystemen hervor, die auf Gemeinschaft setzen. Die Gemeinschaftsschule ist darum ein Modell, das wir überall dort unterstützen, wo es entsteht. Für eine nachhaltige Veränderung in allen Ländern wäre es gut, wenn diese Entwicklung durch ein Gremium begleitet und befördert würde, das auf einen gesellschaftlichen Konsens hinarbeitet und Empfehlungen an die Politik gibt. An einem solchen Gremium müssten Bund, Länder und Kommunen ebenso beteiligt sein wie Sozialverbände und die Wissenschaft.

Das Interview führte Hannah Hoffmann.