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Eine Italienerin in Berlin

erschienen in Clara, Ausgabe 17,

Paola Giaculli sagt, ihr Leben sei oft von Zufällen bestimmt. Das stimmt nicht ganz. In erster Linie ist ihr Leben das Ergebnis von Haltung und Handeln.

Man könnte diesen Text mit der Geschichte einer Rede beginnen, die nicht gehalten wurde. Ein Vulkan machte das Fliegen unmöglich, ein Mann kam nicht zur Hannover-Messe, eine Frau konnte deshalb nicht öffentlich sagen, was sie von diesem Mann hält: nämlich nichts. Aber heben wir uns das für den Schluss auf.


Paola Giaculli ist eine Rebellin. Das steht ihr nicht auf die Stirn geschrieben. Ihr Gesicht ist markant, die großen, dunkel geschminkten Augen sind eindrucksvoll, der dunkle Pagenkopf rahmt ein offenes Gesicht mit einem schönen Lächeln. Beim Reden klimpert die große lange Kette hin und wieder leise. Paola Giaculli redet geradeheraus. Kein Versteckspiel. Das ist gut. Aber das macht noch keine Rebellin aus.

Die Rebellin


Rebellin wird man durch Widerständigkeit und vor allem dadurch, dass man einen eigenen Kopf hat. Die Arbeit, die Paola Giaculli in der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag macht, verlangt ganz sicher einen eigenen Kopf. Ob sie auch auf Widerständigkeit baut, darüber können Außenstehende schlecht befinden. Schaden, denkt man, wird sie nicht, die Widerständigkeit.

Bund-Länder-Koordination ist erst einmal ein schwer fassbarer Begriff. »Letztlich«, sagt Paola Giaculli, »geht es darum, den Informationsaustausch zu organisieren.« Das heißt, sie beobachtet die Arbeit des Europaausschusses und der europäischen Institutionen, bereitet die auch für Bundesländer wichtigen Informationen auf. »Das klingt ein bisschen sperrig, ist es aber nicht«, sagt sie, »Europapolitik ist spannend.« Ja, aber sperrig ist Europapolitik auch, schon deshalb ist eine, die das Wichtige vom Unwichtigen trennt und kommuniziert, was geschieht und geschehen wird, wichtig.

Die Arbeit ist für Paola Giaculli noch ziemlich neu, obwohl sie in der Fraktion nun schon seit drei Jahren arbeitet. Wie verschlägt es eine Italienerin hierher, nach Berlin, in den Bundestag, in die Fraktion DIE LINKE?

Gerade 15 Jahre alt, schon Kommunistin


Glaubt man Paola Giaculli, ist an fast allem der Zufall Schuld. Aber da stapelt sie ein bisschen tief. Gut, sicher lag es nicht in ihrer Hand, im Jahr 1961 als Tochter eines kommunistischen Ehepaares in einer kleinen Stadt in der Toskana geboren zu werden. Andererseits war die Toskana damals eine Hochburg der Kommunisten. In Paolas Geburtsstadt wählten 60 Prozent kommunistisch. Wenn sie das erzählt, bekommt sie leuchtende Augen. Sie selbst war schon mit 15 Mitglied der PCI, der Kommunistischen Partei Italiens. Vater, Mutter, ein Bruder, zwei Großväter, zwei Großmütter. Ein Großvater betrieb eine Latteria, da wurde Milch verkauft, eine Großmutter verkaufte Stoff, ein Großvater war Carabiniere, die andere Großmutter eine Feministin. Was prägt so eine Familie? Der Krieg. Selbstverständlich der Krieg. Die Brüder eines Großvaters wurden am 24. Juli 1944 von der Wehrmacht erschossen – eine Vergeltungsaktion, ein Trauma, eine Wut.

Paola Giaculli studierte in Florenz an der Dolmetscherschule Deutsch und Englisch – heute spricht sie sechs Sprachen. Eigentlich wollte sie Schauspielerin werden, hatte im Theaterkurs als Karl Valentin auf der Bühne gestanden und das Publikum zum Lachen gebracht. »Das war wie eine Droge«, sagt sie.

Nach dem Studium gab es erst ein paar Jahre Arbeit in einem Chemiekonzern in Frankfurt am Main. Durch einen Zufall, wie sie sagt, holte sie ihr Ex-Chef aus Frankfurt ins Pressebüro des Organisationskomitees der Fußball-WM 1990 (Deutschland wurde Weltmeister). Durch einen weiteren Zufall – sagt sie – endete die nachfolgende Arbeitslosigkeit nach quälenden Monaten, weil sie einen Job in der internationalen Abteilung der PRC (Partito Rifondazione Comunista) bekam, einer noch jungen kommunistischen Partei, die sich im Jahr 1991 nach der Auflösung der damaligen Kommunistischen Partei Italiens gegründet hatte.

Der Schock von Genua


Da saß sie also in Rom und arbeitete für die Kommunisten und baute mit auf und stritt und kämpfte für eine starke Linke in Italien. Der Zufall, wie Paola Giaculli erzählt, wollte es dann, dass sie nach
Brüssel geschickt wurde, um dort für die GUE/NGL-Fraktion (Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke) im Europaparlament und in der Pressestelle der italienischen Delegation zu arbeiten. Möglich ist aber auch, dass sie ihre Arbeit in Rom so gut gemacht hat, dass man meinte, in Brüssel könne sie ebenso Gutes leisten. Sie lacht. »Das auch vielleicht«, sagt Paola Giaculli.

Im Jahr 2000 dann dachte sie, jetzt reicht es mit Brüssel. »Man lebte und arbeitete ein bisschen wie unter einer großen Glasglocke.« Sie ging zurück nach Rom. Dann war sie oft auf Auslandsreisen mit dem damaligen PRC-Vorsitzenden Fausto Bertinotti, der sich oft mit Lothar Bisky getroffen habe. Beim gemeinsamen Aufbau der europäischen Linken lernte sie eine ganze Menge von beiden. Italien hatte sich inzwischen gewandelt. Italien war anders geworden. Einschneidend, fürchterlich, wütend und traurig machend waren die Tage in Genua während des G8-Gipfels. Paola Giaculli sagt, es sei das schockierendste Ereignis ihres Lebens gewesen. »Ich hatte noch nie Panzer in einer Stadt gesehen. Jagd auf Menschen wurde gemacht. Ich dachte, hierbei kannst du umkommen.«

Sie erzählt von den darauffolgenden sieben Jahren in Italien, beschreibt die Tragik des Scheiterns der Mitte-Links-Koalition im Jahr 2008. Sie sagt »wir«, wenn sie davon redet. »Wir hatten ein Regierungsprogramm, das gar nicht so schlecht war, und haben verpasst, klare Worte zu sagen. Wir haben nicht vermitteln können, was wir wollten und wie es gelingen soll. Man spürte die Leere, die Enttäuschung«, sagt sie, »wir sind gescheitert.«

Als im November 2006 die Partei- und Fraktionschefs Oskar Lafontaine und Gregor Gysi die PCI besuchten, hatte sie das Programm mitorganisiert. Zehn Tage später fand eine Veranstaltung der Europäischen Linken statt. »Und da bekam ich ganz zufällig das Angebot, für DIE LINKEN in Berlin zu arbeiten.« Sie kann es nicht lassen.

So also ist Paola Giaculli nach Berlin gekommen, in den Bundestag, zur Fraktion DIE LINKE. Und sie ist froh, dass all die »Zufälle« ihr Leben so beeinflusst haben und sie für eine vereinte Linke arbeiten kann, wofür sie schon in Italien geschwärmt hat.

Am 18. April dieses Jahres wollte Paola Giaculli eine rebellische Rede darüber halten, warum man die Eröffnungsfeier zur Hannover-Messe, zu der Berlusconi geladen war, boykottieren muss. Berlusconi kam nicht, weil in Island ein Vulkan ausgebrochen war. Wäre er gekommen, hätte Paola Giaculli gesagt: »Wir wollen Berlusconi heute zeigen, dass es nicht nur in Italien, sondern auch hier in Deutschland Menschen gibt, die sagen: Ein Multimillionär, der glaubt, er könne die Pressefreiheit einschränken und gegen die Gesetze verstoßen – ein solcher Mann darf nicht in Hannover willkommen geheißen werden.«

Und sie hätte eine Liebeserklärung gemacht: »Ich lebe seit dreieinhalb Jahren in Deutschland. Es ist meine zweite politische Heimat geworden. Aber ich werde traurig, wenn ich an die italienischen Verhältnisse denke.«