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„Ein Gefühl zwischen Sinnfrage und Erfüllung“

erschienen in Clara, Ausgabe 33,

Der Berliner Fotograf Matthias Steinbach dokumentiert das Leben in Katastrophenregionen und Kriegsgebieten – zuletzt in Südsudan. In clara berichtet er von seiner Arbeit und präsentiert aktuelle Aufnahmen.

„Es ist ein Unterschied, ob man Bilder von Menschen in Flüchtlingslagern oder von Sterbenden in Krankenhäusern sieht oder ob man vor Ort ist, das Sterben riecht, die Hitze spürt und die Schmerzen hört.    Fotografie bleibt immer hinter der Realität zurück. Oft frage ich mich, was Fotografie überhaupt leisten kann.    Ich habe alle Zweifel durch mit den Jahren. Es existieren zwei Lager, die sich nie auflösen lassen. Die eine Seite sagt, wenn man mehr und mehr von diesen Bildern zeigt, werden Menschen desensibilisiert, es wird nichts bringen. Die andere sagt, ohne diese Aufzeichnung keine Sensibilisierung. Ich habe mich entschieden. Ich zweifle nicht mehr, sondern will dokumentieren.  Mit meiner Kamera will ich nicht nur im Dreck wühlen, nicht nur das Grausame dieser Welt dokumentieren. Ich will auch Schönes zeigen. Es gibt kein Schlachtfeld auf der Welt, auf dem nicht auch gelacht wird. Man kann es sich schwer vorstellen, aber selbst in einem Flüchtlingscamp wird auch gelacht.   Klar, an manchen Tagen gibt es keinen Trost, in keiner Sekunde. Da siehst du Dinge, die Menschen einander antun, und siehst, warum Menschen sterben müssen. Da verzweifle ich. Ich mache nur die Hälfte der Bilder, die ich sehe – die anderen nicht. Manches Mal, weil ich Angst oder keine Kraft mehr habe. Meistens jedoch bringe ich es nicht übers Herz. Es ist der Respekt vor den Menschen. Da denke ich zwar, ich sollte fotografieren, aber das Gefühl sagt etwas anderes: Ich werde die Menschen verletzen, und das will ich nicht.    Die bittere Wahrheit ist auch: Jeder Fotograf liegt mal daneben, verletzt Menschen. Du hast falsche Momente, zu viel Euphorie und spürst zu spät: Ich habe jemanden verletzt. Im besten Fall merkst du es, gehst hin, entschuldigst dich, löschst sofort das Bild.    Bei ganz vielen Bildern frage ich mich: Warum erlauben es mir diese Menschen, ich selbst würde das nicht tun. Mit all den Jahren bin ich sicher: Das entscheidet sich im Miteinander, in dem Moment. Ganz pathetisch ausgedrückt, die Menschen stellen sich die Frage: Nimmt er Bilder nur weg, oder nimmt er Bilder mit, um verantwortungsvoll eine Geschichte zu erzählen – ein Vertrauen darauf, dass der Fotograf in diesem ganz alten Sinne das Fenster zur Welt ist und vom Unrecht erzählt. Aber klar, es gibt auch viele Situationen, da stellt sich den betroffenen Menschen diese Frage nicht. Sie haben Wichtigeres zu tun.   Durch die Konfrontation mit Flucht, Krieg und Leid habe ich ein ganz anderes Gefühl von Heimat bekommen. Ich glaube, jedem würde das passieren, wenn er miterlebt, wie Familien in Sekunden auseinandergerissen werden, ohne Abschied; wenn er begreift, was Wehmut und Sorge machen, wenn das Schicksal der anderen unklar ist. Dieser Schmerz ist für die Menschen dort oft stärker als Hunger oder Durst.    Das Zurückkommen nach Deutschland ist oft schizophren. Diese Geschwindigkeit des Fliegens, die mich von einer Welt in die andere schleudert. Gestern noch ein Flüchtlingslager, heute die U7 in Berlin.   Ich habe oft das Gefühl: Es kann doch nicht sein, dass ich auf demselben Planeten bin – ein Planet und so viele voneinander getrennte Welten.   Ich glaube nicht, dass die reichen Länder dieser Welt irgendwas in ihrer Politik verändern werden, um das Gefälle auf dieser Welt zu verändern. Überall werden Mauern gebaut, die Ängste werden immer größer, die Mauern zahlreicher und höher.  Aber das heißt nicht, dass ich deswegen aufgebe zu fotografieren, dass ich deswegen aufhöre, daran zu glauben, dass es wichtig ist.   Die Melancholie der Fotografie ist, dass man immer enttäuscht ist, weil sie nur einen Bruchteil dessen wiedergibt, was dort vor Ort war. Aber dennoch, diesen Moment hat es gegeben. Ob ein Foto berührt, ist den Menschen selbst überlassen. Niemand soll sich einbilden, er verändert die Welt im Großen.   Diese Arbeit ist ein Gefühl zwischen Sinnfrage und Erfüllung. Oft habe ich mir auf dem Rückflug gedacht: Ich mache es nie wieder. Aber es ist auch ein Lebensvirus in mir, es treibt mich an. Kaum habe ich mich von einer Reise erholt, dann will ich wieder los, um zu dokumentieren, was auf dieser Welt passiert.“   Aufgezeichnet von Benjamin Wuttke