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Echte Verbesserungen im Alltag

erschienen in Querblick, Ausgabe 1,

Was kann Gender Mainstreaming bewirken? Unter Gender Mainstreaming wird seit einigen Jahren die umfassende Beachtung der unterschiedlichen Interessen von Frauen und Männern verstanden. Mehr Geschlechtergerechtigkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen zu erreichen, ist das wesentliche Ziel. Ein Ziel, wofür sich einzusetzen lohnt, nehme ich den Anspruch, linke Kommunalpolitik umzusetzen, ernst.

Es sollte deshalb ein Grundanliegen von Politik, BürgerInnen und Verwaltung sein, die Aktivitäten auf allen politischen Handlungsfeldern ziel- und wirkungsorientiert sowohl auf Kommunal- als auch auf Landes- und Bundesebene  auf den Bedarf der verschiedenen NutzerInnengruppen hin auszurichten, den Einsatz der finanziellen Mittel eingeschlossen. Frauen und Männer nehmen die einzelnen kommunalen Angebote und Verwaltungsleistungen in höchst unterschiedlicher Intensität in Anspruch und haben höchst unterschiedliche Erwartungen an diese Angebote. Insofern ist eine bürgernahe Kommunalpolitik – PolitikerInnen und Verwaltung – gut beraten, wenn sie genau dies analysiert und umsetzt.

Doch bislang ist die Realisierung von Gender Mainstreaming in nur wenigen Bundesländern bzw. Kommunen auf den Weg gebracht. Deshalb ist es umso wichtiger, positive Beispiele zu propagieren und dadurch alle anderen zu motivieren, Gender Mainstreaming umzusetzen und vor allem zu leben.

Insofern möchte ich im Folgenden zwei Beispiele aus der Praxis anführen, die dokumentieren, dass eine mit dem o.g. Anspruch verbundene und ernst gemeinte Umsetzung des Gender-Ansatzes zu mehr Transparenz und einem wesentlich effizienteren Einsatz öffentlicher Gelder führt sowie Bürgerbeteiligung nicht nur erhöht, sondern auch voraussetzt.

In Lichtenberg, einem Berliner Bezirk mit ca. 258000 EinwohnerInnen, haben das Bezirksamt und die Bezirksverordnetenversammlung Anfang 2003 beschlossen, in mehreren Bereichen (Bibliothek, Volkshochschule, Jugendarbeit, Haushalt, Sport und Jugend, Jugendarbeit und Stadtumbau Ost) mit der Umsetzung von Gender Mainstreaming zu beginnen. Vorweggenommen sei bereits an dieser Stelle, dass alle Projekte dazu geführt haben, dass sich Verwaltungshandeln grundlegend geändert hat und Gender Mainstreaming im Bezirk Lichtenberg in den Bereichen, wo begonnen wurde, heute zum Alltag gehört. Der Projektbeirat berät Verwaltung und Politik nicht mehr nur in Fragen des Stadtumbaus Ost, sondern in allen Fragen der Stadtplanung. Er nennt sich jetzt »Beirat geschlechtergerechte Stadtplanung Lichtenberg« und es gibt eine »Checkliste geschlechtergerechte Planung« als Arbeitsinstrument für Politik und Verwaltung. Die Bibliotheken führen regelmäßig NutzerInnenbefragungen durch, um ihre Angebote treffsicherer zu gestalten und die Zufriedenheit der NutzerInnen weiter zu erhöhen.

Im Rahmen des Programms Stadtumbau Ost sollten in fünf Gebieten die Aufwertung von Flächen im Bezirk unter Gender-Aspekten von Bürgerinnen und Bürgern aller Altersgruppen begutachtet und Vorschläge in der stadtplanerischen Gestaltung umgesetzt werden. Dazu wurde Ende November 2003 ein Projektbeirat gegründet, der unter externer Begleitung eigene Strukturen aufbaute. Er bestand aus einem Kernbeirat und fünf Gebietsbeiräten. Dieser Projektbeirat Stadtumbau Ost berät das Bezirksamt Lichtenberg bei der Durchführung des Programms Stadtumbau Ost. Zu seinen Aufgaben gehörten und gehören: Begleitung von baulichen Aufwertungsmaßnahmen, die durch das Programm Stadtumbau Ost finanziert werden, und Beratung des Bezirksamtes unter Gender-Mainstreaming-Aspekten,  Einbringung genderrelevanter lokaler Bedürfnisse (einen Kern- und fünf Gebietsbeiräte).

Was ist das Ergebnis seiner Arbeit? Ein Beispiel: Der Vorplatz am S-Bahnhof Wartenberg befand sich schon sehr lange in einem nicht sehr schönen Zustand. Eine Umgestaltung war längst überfällig. Konzepte wurden entwickelt, die statt Beton viel Grün vorsahen. Nicht berücksichtigt wurde dabei allerdings – und das ergab die Diskussion im Gebietsbeirat und mit Bürgerinnen und Bürgern –, dass der Platz dadurch insbesondere für Frauen und ältere Bürgerinnen und Bürger nicht mehr sicher war. Das mit guter Absicht geplante viele Grün hätte dazu geführt, den Platz unübersichtlich und dunkel werden zu lassen. Um Letzteres zu verhindern, müssten mehr Lampen aufgestellt werden, was sogar noch mehr Kosten verursachen würde. ?m Ergebnis der Diskussion wurde eine Variante gefunden, bei der die Interessen aller dort lebenden Einwohnerinnen und Einwohner berücksichtigt wurden, d.h. eine helle übersichtliche und attraktive Gestaltung des Platzes wurde umgesetzt.

Ein weiteres Beispiel ist das Bibliotheksamt in Lichtenberg. Hier gab es schon sehr weitgehende geschlechterdifferenzierte Nutzungsanalysen. Eines der wichtigsten Ergebnisse bestand darin, dass männliche Nutzer – insbesondere im Alter von 13 bis 15 Jahren – unterrepräsentiert sind. Das Ergebnis der Ursachenforschung hat letztlich zu einem Bündel von Maßnahmen beigetragen, um diese Zielgruppe besser zu erreichen. So erfolgt jetzt die Anschaffung neuer Medien durch ein geschlechterquotiertes Team. Bei den Anschaffungen werden vermehrt elektronische Medien berücksichtigt, die von dieser Zielgruppe besonders nachgefragt werden. Außerdem wurde ein Bonussystem entwickelt, bei dem pro Entleihung Punkte für eine Stunde Internet gratis gesammelt werden können. Da auch und gerade Mädchen an elektronische Medien herangeführt werden müssen, hat diese Maßnahme einen doppelten Effekt: Die Mädchen, die ohnehin ausleihen, werden an das Internet herangeführt und die Jungen werden an Bücher herangeführt, wenn sie dort das Internet nutzen.

Die angeführten Beispiele zeigen: Gender Mainstreaming darf kein Extra, sondern muss Bestandteil einer bürgernahen und effizienten Politik sein. Es muss sehr wohl beachtet werden, dass bei öffentlichen Leistungen und Angeboten differenzierte geschlechtsspezifische Nutzungsbedürfnisse bestehen. Insofern besteht die erste und wichtigste Konsequenz aus dem Gender-Mainstreaming-Grundsatz für die Kommunalpolitik darin, überall für die Frage der nach Geschlecht differenzierten Bedürfnisse zu sensibilisieren und so Gender-Kompetenz zu erreichen.

Zum Schluss sei gesagt: Sicher birgt Gender Mainstreaming sowohl Chancen als auch Risiken in sich. Es gibt in diesem Gesellschaftssystem keine Chance, die nicht gleichzeitig ein Risiko beinhaltet. Was letztendlich überwiegen wird, hängt immer von politischen Mehrheiten ab. Und darum muss man kämpfen, auch in Sachen Gender Mainstreaming.   

Katrin Kunert, MdB Sprecherin für Kommunal- und Sportpolitik der Fraktion DIE LINKE.