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Doppelter Justizskandal

erschienen in Clara, Ausgabe 40,

Jürgen Grässlin hat Strafanzeige gegen Rüstungsmanager wegen widerrechtlichen Waffenhandels mit Mexiko gestellt. Nun droht ihm selbst eine Anklage.

»Kleinwaffen« – so harmlos die Bezeichnung klingt, so tödlich ist deren Wirkung: Mit Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm-, Scharfschützen- und Maschinengewehren werden rund drei Viertel der Opfer in Krisen- und Kriegsgebieten getötet. Deutschland ist, so die topaktuelle Analyse des Small Arms Surveys in Genf für das Jahr 2013, nach den USA und Italien der drittgrößte Kleinwaffenexporteur weltweit.

Erfreulich ist die Tatsache, dass sich in den vergangenen Jahren wiederholt Whistleblower der drei führenden deutschen Kleinwaffenexporteure Heckler & Koch (H&K), Carl Walther und Sig Sauer bei mir meldeten und über deren offenbar illegale Waffentransfers in höchst problematische Staaten Lateinamerikas auspackten. In der Folge konnten wir mehrere Strafanzeigen stellen.

So erstattete ich nach intensiver Prüfung zahlreicher Dokumente eines Insiders von H&K im April 2010 die erste von mehreren Strafanzeigen gegen namentlich genannte Mitarbeiter des Oberndorfer Gewehrherstellers Heckler & Koch. Der Verdacht hatte sich massiv erhärtet, dass das – gemessen an den Opferzahlen – tödlichste Unternehmen Deutschlands widerrechtlich Kriegswaffen in Unruheprovinzen Mexikos geliefert hatte.

Trotz klarer Dokumentenlage und umfänglichen Aussagen von Exportbeteiligten benötigte die zuständige Staatsanwaltschaft Stuttgart sage und schreibe fünfeinhalb Jahre, um nach meiner ersten Strafanzeige gegen H&K endlich Anklage zu erheben. In ihrer Anklageschrift vom 13. Oktober 2015 wirft sie den beiden ehemaligen H&K-Geschäftsführern Joachim Meurer und Peter Beyerle und vier vormaligen H&K-Mitarbeitern vor, Kriegswaffen »vorsätzlich« ausgeführt zu haben. In fünf der Fälle sollen die Firmenvertreter als »Mitglied einer Bande« agiert haben. Diese habe sich »zur fortgesetzten Begehung solcher Straftaten verbunden«. Spätestens Anfang 2017 ist mit dem Prozessauftakt in der Schwabenmetropole zu rechnen.

 

Deutsche Waffen morden in Mexiko

Soweit der positive Teil der Entwicklung, der negative ist folgenschwer. Denn in Mexiko wird mit deutschen G36-Gewehren geschossen und gemordet, die Schuldigen sind noch immer auf freiem Fuß. Standhaft weigert sich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen die in den Exportskandal involvierten Beamten der Rüstungsexportbehörden vorzugehen. Uns liegen Hunderte von Schriftstücken, Filmsequenzen und Fotos mehrerer Whistleblower vor, die die enge Kooperation von H&K-Mitarbeitern mit führenden Beamten des Bundesausfuhramtes (BAFA) und des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWI) beim Mexiko-G36-Deal in einer Triade des Todes beleuchten.

Doch dieser Justizskandal wird tatsächlich noch gedoppelt. Statt gegen die involvierten Vertreter der Rüstungsexportbehörden ermittelt die Staatsanwaltschaft München (nach Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart) jetzt gegen uns drei Autoren des Buches »Netzwerk des Todes« wegen des Verdachts verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen gemäß § 353d Strafgesetzbuch. Wir hätten, so der Vorwurf, wissentlich aus den Gerichtsakten zitiert – dabei kennen wir diese gar nicht.

De facto ist es genau umgekehrt: Daniel Harrich hatte der Staatsanwaltschaft in unserem Namen zahlreiche Dokumente über die Machenschaften von H&K, BAFA und BMWi zur Verfügung gestellt. Doch statt eines Dankeschöns wird nunmehr seitens der Staatsanwaltschaft München gegen uns drei Autoren ermittelt.

 

Jürgen Grässlin, Jahrgang 1957, ist unter anderem Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!« und der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Er wurde bislang mit acht Preisen für Frieden und Zivilcourage ausgezeichnet. Zuletzt erhielt er zusammen mit dem Filmemacher Daniel Harrich und Rechtsanwalt Holger Rothbauer für den Film »Meister des Todes« den »Grimme-Preis« (2016). Am 10. Dezember 2016 erhält Grässlin den »Stuttgarter Friedenspreis«.