Zum Hauptinhalt springen

Die vergessenen Alten

erschienen in Clara, Ausgabe 7,

Die sogenannt Pflegereform wird die desolaten Zustände in der Pflegeversicherung nicht beheben können. Die Situation Pflegebedürftiger wird sich nicht verbessern, weil zu wenig Mittel eingeplant werden.

Margarete B. lebt in einem Magdeburger Pflegeheim. Die 86-jährige Witwe ist seit einem Schlaganfall auf der linken Seite gelähmt. Früher ging Frau B. gerne spazieren. Heute verbringt sie fast den ganzen Tag in ihrem Zimmer, das sie mit zwei anderen Heimbewohnerinnen teilt. Als Frau B. noch in ihrer eigenen Wohnung lebte, gehörten Kochen und Essen zu ihren Leidenschaften. Heute muss sie sehr langsam speisen und aufpassen, dass sie sich nicht verschluckt. Die Pflegekräfte sind unzufrieden mit ihrer täglichen Trinkmenge. Häufig drohen sie der alten Dame, dass sie wieder Infusionen bekommen würde, wenn sie nicht trinke. Das Schicksal von Margarete B. steht stellvertretend für viele, die diesen Lebensabschnitt gern anders erleben würden.

Die Bundesregierung hatte zu Beginn ihrer Amtszeit versprochen, die menschenunwürdigen Zustände in der Pflege abzu-stellen und die Pflegeversicherung zu reformieren. Passiert ist allerdings wenig. Seit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1996 wurden die Pflegeleistungen nicht erhöht. Dabei hätte allein der Inflationsausgleich für die vergangenen Jahre bereits 15 Prozent mehr Mittel erfordert. CDU/CSU und SPD betreiben stattdessen Kosmetik, sie wollen den Beitragssatz zur Pflegeversicherung lediglich um 0,25 Prozentpunkte erhöhen.

Für den Heimplatz muss Margarete B. monatlich 2956 Euro bezahlen. Von der Pflegeversicherung wurde ihr die Pflegestufe drei zuerkannt, wodurch ihr 1432 Euro im Monat für ihre Pflege zur Verfügung stehen. Die restlichen Kosten fressen ihre Rente auf. Ihr Sohn muss monatlich 500 Euro für seine Mutter aufbringen. Dass sie ihrem Sohn auf der Tasche liegt, macht ihre große Sorge. »Warum reicht das Geld der Pflegeversicherung nicht aus, um meinen Heimplatz zu bezahlen?«, fragt sich die alte Dame. Schließlich ist ihr Heim ein ganz normales Pflegeheim ohne jeglichen Luxus.

DIE LINKE fordert Bürgerversicherung der Pflege

Damit sich die Situation pflegebedürftiger Menschen in Deutschland tatsächlich verbessert, muss die Finanzierung umgestellt werden. Deshalb hat DIE LINKE im Bundestag beantragt, endlich eine Bürgerversicherung der Pflege in Angriff zu nehmen. Ihr Vorschlag, demzufolge alle Versicherten, privat wie gesetzlich, in einer gemeinsamen Pflegeversicherung unterkommen, würde die Zwei-Klassen-Pflege beenden. Während nämlich die Pflegeversicherung der gesetzlich Versicherten jährlich mehrere Hundert Millionen Euro Defizite einfährt, werden in der privaten Pflegeversicherung bis zu einer Milliarde Euro Gewinn erwirtschaftet. Neben den Erwerbseinkünften sollen auch andere Einkommen aus Kapital- und Zinsvermögen für die Pflegeversicherung herangezogen werden. »Und Arbeitgeber sollen zu gleichen Teilen wie ihre Angestellten zahlen, eine einseitige Mehrbelastung der Beschäftigten ist nicht hinnehmbar«, erläutert Dr. Ilja Seifert, Pflegeexperte der Fraktion DIE LINKE.

Wenn Margarete B. sich etwas wünschen dürfte, würde sie gerne einmal am Tag in Begleitung in den Park gehen. Doch anscheinend macht sich niemand im Heim Gedanken darüber, dass sie oft trübsinnig ist. Um ihre Stimmung aufzuhellen, brauchte es gar nicht viel, denn ihr fehlt vor allem Gesellschaft. Der Job der Pflegerinnen und Pfleger aber ist hart. Ihnen fehlt oft die Zeit, sich einmal mit Margarete B. zu unterhalten. Das Pflegepersonal hat in den zwei Jahren, in denen sie Heimbewohnerin ist, häufig gewechselt.

Fände der Antrag der Fraktion DIE LINKE eine Mehrheit im Parlament, erhielte Margarete B. 2014 Euro im Monat. Damit sie auch mal zehn Minuten Zeit für ein Gespräch hat, brauchen die in der Pflege arbeitenden Menschen einen befriedigenden, sicheren und ausreichend bezahlten Arbeitsplatz. Dann wäre auch für Margarete B. der Ausflug in den Park ein erfüllbarer Wunsch. Der Antrag sieht zudem vor, dass unabhängige Beratungsstellen eingerichtet werden, bei denen sich Margarete B.s Sohn über die Möglichkeit informieren kann, seine Mutter zu Hause zu betreuen. Würde der Antrag angenommen, könnte ihr Sohn außerdem einmalig bis zu sechs Wochen bezahlten Pflegeurlaub nehmen, um die Pflege seiner Mutter - von der Entscheidung für ein Pflegeheim über den möglichen Umzug bis zur Auswahl eines Hausarztes - zu organisieren.

Gute Pflege muss den Menschen Teilhabe am sozialen Leben gewährleisten

Unter den derzeitigen Regeln der Pflegeversicherung können nur solche Gebrechen angerechnet werden, die körperlicher Natur sind. Geistige Einschränkungen werden dagegen nicht berücksichtigt. Und an dieser Situation wird sich auch nach der Pflegereform von CDU/CSU und SPD nur wenig ändern: Für Menschen mit demenztiellen Erkrankungen werden lediglich maximal 6,70 Euro Unterstützung pro Tag gewährt. Und die Menschen mit körperlichen Einschränkungen bleiben ebenfalls unterversorgt: Ambulant betreute Pflegebedürftige erhalten zehn Euro pro Monat dazu, Menschen im Heim bekommen in der Pflegestufe 1 und 2 überhaupt keine Leistungsverbesserungen bewilligt.

Für Margarete B. wird sich frühestens 2012 etwas ändern. Dann soll ihre Pflegestufe 3 auf 1550 Euro angehoben werden, 118 Euro mehr als jetzt. Wenn der Heimplatz aber jedes Jahr um 30 Euro teurer wird, muss ihr Sohn trotzdem in vier Jahren mehr dazuzahlen als heute. »Grundsätzlich muss die Frage geklärt werden, welche Ansprüche ein pflegebedürftiger Mensch stellen darf«, sagt Ilja Seifert. Seiner Meinung nach brauchen Pflegebedürftige mehr als eine Betreuung, die dafür sorgt, dass sie satt, sauber und trocken sind. Gute Pflege müsse sich darauf erstrecken, »den Menschen eine Teilhabe am sozialen Leben und eine umfassende Assistenz bei den durch die Pflegebedürftigkeit eingeschränkten Aktivitäten zu ermöglichen!«

Das Beispiel von Margarete B. zeigt: Die Leistungen der Pflegeversicherung müssen deutlich angehoben werden und sich am individuellen Bedarf orientieren. Wenn die Alten nicht vergessen werden sollen, muss sich die Politik ehrlich um sie kümmern.