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»Die totale Manipulation ist möglich«

erschienen in Klar, Ausgabe 23,

Warum CDU und SPD Etikettenschwindel betreiben und welche Rolle dabei einem unkritischen Journalismus zukommt, verrät der Bestsellerautor Albrecht Müller.

Die CDU redet vom Mindestlohn und die SPD von der Finanzmarktregulierung. Sehen Sie darin ernsthafte Diskussionen oder geht es eher darum, Begriffe zu besetzen?

Leider steckt hinter dem Vorschlag der CDU für eine Art Mindestlohn nur Wahlkampfstrategie und nicht der ernsthafte Versuch, die Lage von Millionen von Menschen, die sich mit Leiharbeit und mit Minilöhnen durchschlagen müssen, zu verbessern. Angela Merkel und die CDU wollen sich ein soziales Mäntelchen umhängen. Und was die SPD betrifft: Der jetzt zum Kanzlerkandidaten hochstilisierte Peer Steinbrück hat als Finanzminister 2005 die Regeln für die Spekulanten gelockert. Jetzt werden von ihm schärfere Regeln angekündigt.

 

Wie glaubwürdig sind solche Manöver?

Ich glaube Steinbrück kein Wort. Auch den sozialen Gesängen der Union nicht.

 

Welche Rolle spielen die Medien bei diesem Etikettenschwindel?

Eine traurige Rolle. Als die CDU ihre Art des Mindestlohns beschlossen hatte, da wurden von vielen Journalisten die von der CDU strategisch ausgedachten Parolen als Wahrheit verbreitet. Frau Merkel hätte sich »sozialdemokratisiert«, hieß es. Das ist eine alte Masche. Aber sie zieht. Angela Merkel kann ihre unsoziale Politik fortführen: noch mehr privatisieren, bei den kleinen Leuten sparen, den Investmentbankern Milliarden schenken usw. Hauptsache, die Propaganda verbreitet gleichzeitig, dass Frau Merkel sich programmatisch mit ihrer CDU sozialdemokratischen Werten angenähert habe.

 

In Ihrem Buch »Meinungsmache« haben Sie sich damit beschäftigt, wie die Bevölkerung eingelullt und manipuliert wird. Sind wir wachsam genug?

Leider sind wir nicht wachsam genug. Das ist auch schwierig. Wenn Ihnen immer und immer wieder dieselbe unwahre Geschichte erzählt wird, dann beginnen Sie sie zu glauben und an sich selbst zu zweifeln. Wenn es aus allen Ecken tönt, wir dürften keine Bank eingehen lassen, dann nehmen die meisten Menschen es geduldig hin, dass die Banken mit Hunderten von Milliarden gerettet werden. Wenn uns immer wieder erzählt wird, die Alten lebten auf Kosten der Jungen, dann denken wir wirklich, da sei etwas dran. Dann nehmen wir Rentenkürzungen hin, obwohl es den meisten Alten gar nicht so gut geht wie uns öffentlich erzählt wird. Wenn uns auf allen Kanälen erzählt wird, die CDU sei sozialdemokratisiert, dann glauben wir das. Die totale Manipulation ist möglich.

 

Wie können wir uns gegen Meinungsmache wehren?

Erstens: Wir dürfen nicht alles glauben. Wir müssen wieder lernen, zu zweifeln. Mit dem Wissen wächst der Zweifel, hat Goethe richtig gesagt. Das heißt dann zweitens: Wir müssen die Manipulationen, denen wir ausgesetzt sind, beobachten, ihnen kritisch zuhören. Damit dies klappt, sollten wir drittens mit anderen Menschen zusammen beobachten und analysieren, wie wir veräppelt werden. Dann hält man das besser aus und behält die Kraft zum Widerstand.

 

Albrecht Müller, Jahrgang 1938, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der SPD, ist Bestsellerautor. Er schrieb die Bücher »Nachdenken über Deutschland« und »Meinungsmache: Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen«. Er ist Mitinitiator des Internetjournals www.nachdenkseiten.de