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Die Scheingewinne der Casino-Banken

erschienen in Clara, Ausgabe 18,

Durch Spekulationen werden keine Werte geschaffen, aber ganze Volkswirtschaften ruiniert. Es ist höchste Zeit, dass die Politik die richtigen Lehren aus der Finanzkrise zieht, argumentiert der Ökonom Heiner Flassbeck.

Beim Blick auf die Finanzkrise lohnt es, den Fokus auf die Auswirkungen der Finanzmärkte auf die anderen Märkte zu richten. Darüber wird viel zu wenig diskutiert, auch in linken Kreisen. Im Zusammenhang mit Märkten gehören die Worte Investitionen und Investoren zu den meistgebrauchten. Doch die sprachliche Verwendung von Investitionen und Investoren trübt beim Thema Finanzkrise manchem den Blick für deren eigentliche Wirkungsweise. Denn das, was diese Leute machen, von denen wir üblicherweise als Investmentbanker reden, hat mit Investitionen absolut nichts zu tun.

Herr Ackermann von der Deutschen Bank ist ja berühmt dafür geworden, dass er gesagt hat: „Wir schaffen die Werte.“ Und er hat sich beklagt, dass diejenigen, die Werte schaffen, in Deutschland nicht ausreichend gewürdigt werden. Wie aber schaffen Banken Werte? Wie schafft ein Hedge-Fonds Werte?

Wir machen ein Experiment und werden über Nacht alle einmal Werteschaffer. Das ist ganz einfach. Wir nehmen alle unser Geld zusammen oder wir gehen auf die Bank und leihen uns so viel Geld, wie wir bekommen, und am Montagmorgen gehen wir an die Börse in Frankfurt. Weil wir einen guten Tipp bekommen haben, kaufen wir alle die gleiche Aktie. Der Wert dieser Aktie wird zumindest für einen Tag steigen, und in unserer Bilanz steht am Abend dieses Tages, dass wir einen Wert geschaffen haben. Nur dadurch, dass wir alle uns wie eine große Herde auf einen Aktientitel stürzen und dadurch den Preis dieser Aktie in die Höhe treiben, haben wir einen Wert geschaffen. Unser Kaufakt hat nach den Regeln, nach denen unsere Banker rechnen, einen Wert geschaffen. Nun fühlen wir uns alle reich, gehen ins nächste Geschäft und kaufen uns ein schönes Auto oder eine Yacht. Wer das versteht, hat unser Finanzsystem verstanden.

 

Kettenbriefe und Schneebälle

Jeder vernünftige Mensch weiß natürlich, dass wir keinen wirklichen Wert geschaffen haben. Es sind Scheinwerte und Scheingewinne, die auf diese Weise geschaffen werden. So sind etwa die Banken nicht wirklich rausgekommen aus der Krise, sondern ihnen ist allen zusammen gelungen – diesen Herden, oder sollte man besser Horden sagen, mit ihrem ganz vielen Geld –, seit März 2009 den Eindruck zu erwecken, dass die Weltkonjunktur auf einem guten Wege ist. Und weil sie diesen Eindruck erwecken konnten, glauben wir, dass sie auch zu Recht Gewinne gemacht haben. Sie haben aber nicht zu Recht Gewinne gemacht, sondern sie haben wieder das alte Spiel der Scheinwerte gespielt. Das ist nichts anderes als ein Kettenbrief- oder Schneeballsystem. Man könnte es auch nach dem größten Betrüger der jüngeren Geschichte, Bernard Madoff, Madoff-Game nennen. Was die Banken tun, ist nicht viel anders. Madoff hat es nur nicht geschafft, genügend Horden hinter sich zu scharen, die mit ihm zusammen die Preise so hochgetrieben hätten, dass er die Rendite erreichte, die er seinen Kunden versprochen hatte.

Ein gewisser John Maynard Keynes, der immer noch leidlich bekannte britische Ökonom, hat vor 60 Jahren schon sinngemäß dazu gesagt, dass sich Banker nicht dadurch auszeichnen, dass sie als Einzelne etwas Besonderes leisten, sondern dadurch, dass sie mit anderen zusammen ins Verderben rennen und sagen können, es war ja nicht mein Fehler, es waren die objektiven Gegebenheiten, die dazu geführt haben, dass ich ins Verderben rennen musste. Es wird aber nicht nur niemals ein Wert dadurch geschaffen, dass sich eine Horde von Spekulanten auf einen bestimmten Vermögensgegenstand wirft, sondern sie erzeugen auch noch eine massive Preisverzerrung. Sie schaffen Scheingewinne und falsche Preise zugleich – ein höchst effizientes Geschäftsmodell!

Beispiel Rohstoffpreise: Man schafft ein Papier, das auf Rohstoffpreise setzt und Gewinne erzeugt, wenn der Rohstoffpreis steigt. Genauer, man schafft ein Derivat, einen Ableger eines Rohstoffbesitzverhältnisses, und dann spekuliert man auch darauf, dass der Preis des Derivats steigt und man am Schluss noch einen Dummen, genauer: einen größeren Narren, findet, der es auch zu relativ hohen Preisen noch kauft. Und auf diese Weise kann man dann in seine Bilanz einen Wert schreiben, den es gar nicht gibt. Denn welcher Wert wird denn dadurch geschaffen, dass ein Rohstoffpreis steigt? Es kann überhaupt kein Wert entstehen.

 

Angebot und Nachfrage von Öl

Der wichtigste Einzelpreis dieser Welt ist immer noch der Preis für Öl. Auch diesen Preis überlässt man den Finanzmärkten. Der Preis für Öl hat nichts mehr mit Angebot und Nachfrage von Öl zu tun. Es ist ein Preis wie alle anderen Vermögenspreise, wenn man sich die Bewegung auf den Märkten anschaut. Die Preisbewegung ist eindeutig von Finanzspekulation dominiert. Nun treffen sich dann die Klimapolitiker dieser Welt im dänischen Kopenhagen oder in Cancún in Mexiko und sagen: „Wir wollen das Klima schützen.“ Ja, aber wie wollen sie denn das Klima schützen, wenn sie den wichtigsten Preis für fossile Energieträger dem Finanzmarkt überlassen? Was passiert denn, wenn übermorgen der Ölpreis auf 20 Dollar zurückfällt? Dann sind alle Investitionen, die die wenigen vernünftigen Leute, die wenigen richtigen Investoren, die in Sonnen-, Wind- oder Wasserkraft investiert haben, nutzlos. Diese Investitionen sind über Nacht plötzlich wertlos geworden.

Noch viel schlimmer ist es auf dem größten dieser Märkte, auf dem Markt für Währungen. Wenn ich heute mein Geld in eine andere Währung tausche, welcher Wert entsteht dann dadurch, dass diese Währung aufwertet, während eine andere abwertet? Kann ein Wert entstehen, wenn ich Geld tausche und nach drei Monaten oder nach drei Tagen oder nach drei Stunden wieder umtausche? Natürlich entsteht kein Wert, es wird aber mit der Aufwertung eine Volkswirtschaft in die Katastrophe getrieben. Es wird eine Volkswirtschaft wie Island oder Ungarn systematisch ruiniert, weil man den Leuten vorspielt, dass ihre Währung einen Wert habe, den sie gar nicht haben kann. Die Länder verschulden sich dann in Fremdwährungen oder sie kaufen viel zu viele Güter aus dem Ausland ein, die sie niemals bezahlen können. Was folgt dann? Wer redet über diesen Schaden, den man dadurch erzeugt, dass man einen Preis systematisch in die falsche Richtung treibt?

 

Schaden für Volkswirtschaften

Niemand unserer heutigen Regierungsvertreter hat über den unglaublichen Schaden geredet, der entsteht, wenn man Währungen den Spekulanten überlässt. Davor haben Oskar Lafontaine und ich bereits vor zwölf Jahren vom Bundesfinanzministerium aus gewarnt. Die zwei größten Währungskrisen der Welt waren im Jahr 1998 gerade am Laufen. Die Russland-Krise war fast vorüber, die Asien- und Lateinamerika-Krise begann gerade. Aus diesen Währungskrisen wurden keinerlei wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen gezogen. Es wurde zwar viel gefaselt über eine neue internationale Finanzarchitektur, aber daraus folgte absolut nichts. Alle haben so weitergemacht wie vorher, und die nächsten Opfer waren Island, Ungarn, die Ukraine und einige andere Staaten in Osteuropa, die alle über die Klippe gefallen sind, weil ihre Währungen zum Spielball der internationalen Spekulation geworden sind.

Wir müssen zurück zu einem System, bei dem die Veränderung der Wechselkurse den Inflationsdifferenzen folgt. Dann hat man die internationale Spekulation mit Währungen mit einem Schlag erledigt, weil sie sich nämlich an den Zinsdifferenzen ausrichtet, die sich wiederum wie die Inflationsdifferenzen entwickeln. Wenn also Länder, die hohe Zinsen und eine hohe Inflation haben, ihre Währungen regelmäßig abwerten, dann hat man eine vernünftige Basis für den internationalen Handel geschaffen. Man erschlägt so zwei dicke Fliegen mit einer Klappe.

 

Bank mit zwei Türmen

Unsere Ökonomen drücken sich bei diesem Thema. Dabei steht in jedem Lehrbuch der Ökonomie auf Seite 2, dass die Wechselkurse den Inflationsdifferenzen zu folgen haben, weil das System sonst niemals funktionieren kann. Aber über Jahre lassen wir es laufen, und die Ökonomen verschließen allesamt die Augen und Ohren, damit sie bloß nichts davon mitbekommen und nicht darüber reden müssen, dass der Markt genau das Gegenteil dessen tut, was sie vorhergesagt haben. Dieses aktuelle Finanzmarktsystem zerstört auch die letzten Reste an Marktwirtschaft, die es noch geben mag, weil nämlich dieses Finanzmarktsystem alle normalen Märkte, die noch funktionieren, systematisch verzerrt. Der Schaden besteht nicht nur in den unmittelbar fehlenden Steuereinnahmen durch den Zusammenbruch der spekulativen Blasen, sondern ist viel, viel umfassender.

Niemand unternimmt ernsthaft etwas dagegen. Diese Geschäfte scheinen kurzfristig nämlich sehr einträglich zu sein. Wenn man mit der Herde rennt, kann man in kurzer Zeit 25 Prozent Rendite erwirtschaften. Nur die wirklichen Verluste, die Verluste nämlich, die hinterher für die Gesellschaft eintreten, errechnet niemand. All diese Spiele, die die Horden von Investmentbankern spielen, sind Nullsummenspiele ohne wirkliche Werte, reine Casino-Geschäfte. Es geht um kurzfristige Scheingewinne, die mal über zwei, drei Jahre laufen können, solange die Preise hoch bleiben. Wenn die Preise dann einbrechen und die Blasen platzen, ist alles wieder weg, und der Schaden ist ungeheuerlich.

Aber selbst ohne eine vollständige Verstaatlichung des Bankensystems kann man dieses System ganz schnell kippen. Eine Regel hat US-Präsident Barack Obama vorgestellt, und Paul Volcker, der ehemalige Zentralbankpräsident, hat sie ihm eingeflüstert. Man muss das normale Bankgeschäft systematisch vom Zockergeschäft trennen. Die Deutsche Bank hat zwei Türme. Auf den einen Turm wird „Bank“ geschrieben: Dort finden die normalen Bankgeschäfte statt. Und auf den anderen Turm, wo die Investmentbanker sitzen, wird groß „Spielbank“ geschrieben. Dann weiß jeder, der da hineinwill, was ihn da erwartet.

Diese Institutionen, die sich heute Banken nennen, haben das unglaubliche Privileg, hoch subventioniertes Geld vom Staat zu bekommen, um es zum Teil dem Staat wieder zurückzugeben. Warum halten die Banken so viele Staatsanleihen in ihren Portfolios? Weil das für sie eine sichere Gelddruckmaschine im Keller ist, mit der sie Geld verdienen ohne jedes Risiko. Schlimm wird es aber dann, wenn sie mit dem staatlich subventionierten Geld noch viel riskantere Wetten mit schädlichen Folgen, wie eingangs beschrieben, finanzieren. Dass die Regierungen zulassen, dass dieses Geld, das die Banken vom Staat für null Zinsen erhalten, auch direkt zum Zocken verwendet wird, ist der größte Skandal aller Zeiten.

 

Heiner Flassbeck, Jahrgang 1950, ist seit dem Jahr 2000 Chef-Volkswirt der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD). Von 1998 bis 1999 war er Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen, das damals von Oskar Lafontaine (einst SPD, heute DIE LINKE) geleitet wurde. Zuvor führte er jahrelang die Abteilung Konjunktur des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). In den vergangenen Jahren publizierte er Bücher wie „Das Ende der Massenarbeitslosigkeit“, „Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert“ und „Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts“.