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"Die Macht des Einzelnen wird sträflich unterschätzt"

erschienen in Klar, Ausgabe 31,

Die Liedermacher Konstantin Wecker (66) und Prinz Chaos II. (38) haben einen »Aufruf zur Revolte« verfasst. Warum diese notwendig ist – darüber sprechen sie im Klar-Interview.

"Aufruf zur Revolte", ist das nicht ein bisschen viel, immerhin ist Deutschland nicht die Türkei oder Ägypten?

Konstantin Wecker: In Ägypten hat sich unter Mubaraks Diktatur jahrzehntelang fast gar nichts getan. Wie das jetzt dort weitergeht, muss man sehen. Aber es ist kein Naturgesetz, dass sich in Deutschland nichts tut. Sogar in den USA gab es Occupy Wall Street.

Prinz Chaos II.: Die Türkei als Land der Revolte ist ja auch eine sehr neue und überraschende Entwicklung.

Warum haben Sie den Aufruf geschrieben?

P. C.: Es gab da einen speziellen Moment. Wir waren zusammen auf Tour in der Schweiz. Der Kontrast zwischen diesem wohlhabenden Land, das so intakt scheint, und einer erodierenden globalen Situation hat uns eigentümlich berührt.

K. W.: Nach einem Konzert sind wir dann in der Künstlergarderobe zusammen gesessen – und haben uns gestanden, dass uns angst und bange ist …

P. C.: … wenn man alle Faktoren zusammenrechnet: die ökologische Situation, die wirtschaftliche Lage, den gigantischen Repressionsapparat und die zunehmende Verrohung und Entsolidarisierung der Menschen untereinander.

K. W.: Wir sind aber nicht so naiv, dass wir glauben: Deutschland steht kurz vor der Revolte, wir brauchen jetzt nur noch einen Text zu schreiben und dann geht’s los.

Was können die Menschen in Ihrem Text erfahren?

K. W.: Wir versuchen eine Haltung anzubieten, die stark und selbstbewusst ist, weil sie auf humanistischen Prinzipien fußt und diese unversöhnlich einfordert.

P. C.: Die Poetik des Textes bietet außerdem einen sprachlichen Baukasten an, mit dem man revoltierend weiterarbeiten kann.

Wie soll die Revolte funktionieren? Was kann die Einzelne oder der Einzelne tun?

K. W.: Edward Snowden zeigt uns derzeit, wie ein Einzelner die Weltpolitik auf den Kopf stellen kann, auch wenn er nicht Staatschef oder Multimillionär ist. Jetzt ist nicht jeder mit diesem ungeheuerlichen Mut ausgestattet. Aber die Macht des Einzelnen wird sträflich unterschätzt.

P. C.: Uns ist völlig klar, dass es ohne Organisationsformen nicht geht. Aber die Revolte, die wir meinen, kann nur funktionieren, wenn viele Einzelne in sich selbst aufstehen und sagen: Ich greife jetzt ein!

Was kommt nach der Revolte, was ist das Ziel?

P. C.: Uns interessieren stark die neuen Formen massenhafter Beteiligung, die von Ägypten und Griechenland bis Chile und Spanien entstanden sind.

K. W.: Ich habe gerade das Büchlein »Demokratie! Wofür wir kämpfen« von Antonio Negri und Michael Hardt gelesen. Da wird sehr schön analysiert, wie sich aus diesen Platzbesetzungen Marke Tahrir-Platz in Kairo eine neuartige Demokratie entwickeln könnte.

P. C.: Das ist das Ziel: eine neuartige Form der Demokratie!

Sie beide singen und schreiben gegen die Missstände der Welt an, woher nehmen Sie die Kraft dafür?

P. C.: Ich nehme die Kraft dafür … aus dem Schreiben und Singen!

K. W.: Ich finde diese Frage immer etwas merkwürdig. Andersherum: Mich nicht zu wehren, immer das Maul zu halten, einfach zuzuschauen – das würde mich viel eher fertigmachen!

Ihr Text ist im Internet kostenlos zu erhalten. Warum haben Sie sich für diesen Weg entschieden?

K. W.: Wir wollten den Text so zugänglich wie möglich machen. Deshalb haben wir uns auch einerseits für einen großen, etablierten Verlag entschieden. Dass die das gemacht haben, also ein E-Book umsonst ins Netz zu stellen, ist eigentlich eine Sensation. Andererseits ist unser zentraler Medienpartner störsender.tv.

P. C.: Wir wollten halt nicht nur die üblichen Verdächtigen erreichen, sondern eine Wirkung quer übers gesellschaftliche Feld erzielen. Mit mehreren Zehntausend Downloads und YouTube-Klicks scheint uns das auch zu glücken.

Interview: Benjamin Wuttke