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„Die Leute leben nicht hinterm Mond“

erschienen in Klar, Ausgabe 27,

Im Sommer stürmte die Heavy-Metal-Band „Kreator“ auf Platz fünf der deutschen Charts. Die Essener Band ist eine der ältesten deutschen Gruppen in diesem Musikstil. Ihr Frontmann Miland „Mille“ Petrozza spricht im Interview mit Klar über seine Musik, über Politik und Nazis.

Ihre Texte wie „Death to the World“ klingen pessimistisch. Aber Sie leben vegan, setzen sich mit Krieg und Rassismus auseinander. Passt das zusammen?

Petrozza: Ich selbst bin optimistisch. Die Texte sind nur metaphorisch überspitzt. Metal hören und machen normale Leute, die nicht hinter dem Mond leben. Die befassen sich auch damit. Alles andere sind Klischees.

 

Aber es gibt im Heavy Metal viel Distanz zur Politik.

Das liegt an der Politik. Menschen überblicken nicht mehr, was Parteien sagen und was sie wirklich tun. Vor Wahlen wird mit Worthülsen um sich geworfen. Am Ende gibt es Enttäuschung.

 

Ist die Realität zu komplex für Slogans?

Ja, es muss realistischer kommuniziert werden, weniger plakativ. Man darf die Leute nicht unterschätzen, auch wenn viele von BILD oder RTL2 beeinflusst sind. Das Klischee, die Mehrheit sei einfach strukturiert, ist falsch. Instinktiv fühlen Menschen, dass sie der Politik nicht mehr trauen.

 

Krieg ist ein Thema Ihrer Texte. Wie finden Sie deutsche Kriegseinsätze wie in Afghanistan?

Grauenhaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Konsens: Wir beteiligen uns nicht an Kriegen. Das war richtig. Wir sollten mit Aufbaukräften helfen, nicht zerstören.

 

Sind Sie Pazifist?

Klar. Ich will nicht wieder sagen, wir in Deutschland wissen, was Krieg anrichtet. Aber es ist so. Wenn ich durch Essen gehe, sehe ich, dass die Hälfte der Altbauten zerbombt wurde. Für mich ist es kein Unterschied, ob in Essen gebombt wird oder in Afghanistan. Es gibt keine „sauberen“ Kriege. Für die Leute ist es immer schrecklich, wenn ihr Haus zerbombt, wenn ihr Nachbar umgebracht wird, etwa in Syrien. Natürlich muss da etwas passieren, aber ich frage mich, ob das nicht besser diplomatisch geht. Vielleicht bin ich da naiv. Aber auch Deutschland ist verstrickt in Waffengeschäfte. Wir sind indirekt dabei.

 

In Ihren Texten nehmen Sie Stellung gegen Nazis. Einige sind auch in der Metalszene zu finden …

Rechte Auswüchse in der Metalszene sind ein Schwachsinn. Viele Leute, die mit Nazisymbolik provozieren, wissen nicht, wovon sie reden, wollen auf böse machen. Wie geht das, wenn alles andere im Metal durch ist? Eben damit. Ich halte das nicht für harmlos, eher für uninformiert und dumm. Ich bin sicher, dass 99 Prozent der Szene kein rechtes Gedankengut in sich haben, vielleicht konservatives. Nazis werden meist gemacht. Das hat oft mit Frust zu tun, Leute werden abgeschrieben. Den Osten hat man nach der Wende vergessen, sozial wurde dort zu wenig gemacht. Landstriche liegen brach. Da gehen die Nazis rein. Ich will das nicht rechtfertigen oder verharmlosen. Aber Nazis werden oft durch Umstände gezüchtet.

 

Auch im Revier versuchen Nazis, Fuß zu fassen. Hilft ein NPD-Verbot?

Die NPD hätte nie erlaubt werden dürfen. Aber ich habe keine Patentlösung. Egal wie bekloppt die Leute sind: Man muss mit ihnen kommunizieren. Und man muss jungen Leuten eine Perspektive geben. Hier stimmt etwas nicht, wenn Nazis Freiräume bekommen, etwa weil alle Jugendklubs dicht sind.

 

Wie war das in Ihrer Jugend?

Als ich in Altenessen aufgewachsen bin, gab es vier Jugendzentren im Umkreis von fünf Kilometern. Davon gibt es keines mehr. Da fragt man sich, warum ging das damals und heute nicht mehr?

 

Zum Beispiel, weil Steuersenkungen für Reiche die Staatskassen geleert haben. Deshalb fordert DIE LINKE eine Millionärsteuer. Wie sehen Sie das?

Man muss dafür sorgen, dass es Angebote für Jugendliche gibt. Auch so muss die Nachwuchswerbung der Nazis im Keim erstickt werden. Jugendarbeit gehört zu den Aufgaben des Staats. Das zu vernachlässigen, damit Reiche weniger Steuern zahlen, ist grauenhaft. Die gegenteilige Richtung würde dem Land guttun.

 

Interview: Niels Holger Schmidt und Oliver Nöll