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Die Leerstellen des Aktivismus

erschienen in Clara, Ausgabe 31,

Gastkolumne von Stefanie Lohaus, Mitgründerin und Chefredakteurin der Frauenzeitschrift Missy Magazine

In der letzten Zeit ist Feminismus wieder in aller Munde. Es sind meist Frauen zwischen 20 und 40, die den Finger in die Wunde der mangelnden Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft legen. Die Bandbreite reicht von Femen, den wohl bekanntesten und umstrittensten neuen Aktivistinnen, über die Twitter-Kampagne #Aufschrei, die Initiative Pinkstinks, die sich gegen Geschlechterstereotype in der Werbung richtet, die Slutwalks, das Missy Magazine, den Verein ProQuote für mehr Frauen in den Medien bis hin zum queerfeministischen Blog maedchenmannschaft.net. Wer den Blick nicht auf die nationalen Grenzen beschränkt, beobachtet ähnliche Entwicklungen im Ausland.

Zeitgleich mit dem Wiedererstarken des Feminismus beginnt auch der Kampf um Deutungshoheit, Themen, politische Stoßrichtung und die Wahl der richtigen Mittel. Wie bei allen sozialen Bewegungen ist man auch im »neuen« Feminismus selten einer Meinung. Das zeigen zum Beispiel die Kontroversen um Femen und ihre Nacktproteste oder die wieder aufgeflammte Debatte über Prostitution.

Diese Entwicklung ist allemal begrüßenswert, denn sie ist auch Indiz für die Stärke einer sozialen Bewegung. Frauen sind nun mal eine vielfältige Gruppe. Sie haben verschiedene soziale Hintergründe, Bildungsstände und Moralvorstellungen. Dementsprechend unterschiedlich sind ihre Bedürfnisse, Anliegen und die Wahl ihrer Mittel.

Das größte bisher abgedeckte Themenfeld ist der Alltagssexismus, den #Aufschrei, die Slutwalks und Pinkstinks thematisieren und bekämpfen wollen. Das Missy Magazine kritisiert Geschlechterstereotype und setzt einen Kontrapunkt zur fehlenden Repräsentation von kulturschaffenden Frauen in den Mainstream-Medien. Maedchenmannschaft.net und zahlreiche feministische Bloggerinnen setzen einen Schwerpunkt auf die Anliegen von Menschen, die sich in der weißen, heteronormativen Matrix nicht wiederfinden. Auch das Thema Frauenquote bekommt viel Aufmerksamkeit, unabhängig davon, wie sinnvoll man die bisherigen Vorschläge für eine Quote nur für Aufsichtsräte findet.

Aber es fällt auf, dass innerhalb des bisherigen Aktivismus noch einige Leerstellen bestehen. Das große Themenfeld Carearbeit, Kinderbetreuung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das den Feminismus der 1970er in der BRD maßgeblich geprägt hat, ist eines der bisher zu wenig beachteten Themen. Eine Ausnahme wäre der inspirierende Blog fuckermothers oder auch das neue Online-Magazin umstandslos. Genau dieses Feld stellt aber eine der größten Herausforderungen an den heutigen Feminismus dar, denn es hält die größten Fallstricke bereit.

Die feministische Forderung nach einer familienfreundlichen Flexibilisierung der Arbeitswelt, etwa mit mehr Heimarbeit, ist eine zweischneidige Sache. Denn sie ist Teil einer Entwicklung zu mehr Prekarisierung im Allgemeinen. Bisherige familienpolitische Maßnahmen in den letzten Jahrzehnten waren häufig verknüpft mit einer neoliberalen Politik und Kürzungen von Sozialleistungen. Niemand spricht heute mehr davon, dass die Einführung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger und Geringverdienerinnen und -verdiener eine Verschlechterung der Situation bedeutete. Auch wenn Vorschläge wie der von SPD-Ministerin Manuela Schwesig für eine 32-Stunden-Woche erst einmal begrüßenswert sind, liegt der Teufel im Detail. Denn auch diese Forderung könnte mit sich bringen, dass lediglich die Arbeitszeit verdichtet wird, also die gleiche Arbeit in weniger Zeit für weniger Lohn abzuleisten ist. Und das wäre dann kein Fort-, sondern ein Rückschritt. Deswegen brauchen wir auch eine laute junge, linke Perspektive auf Feminismus, die sich den realpolitischen Herausforderungen stellt – und sich nicht davor scheut, Einfluss auf Gesetze zu nehmen.

Stefanie Lohaus, Jahrgang 1978, lebt in Berlin, ist Mitgründerin und Chefredakteurin der Frauenzeitschrift Missy Magazine. Sie schreibt als freie Autorin auf dem FAZ-Blog 10vor8 und hält Vorträge zu gleichberechtigter Partnerschaft, Feminismus, Popkultur und alternativen Medien.