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Die Entkernung der Demokratie

Von Ulrich Maurer, erschienen in Clara, Ausgabe 23,

Was haben Ratingagenturen, unkontrollierte Finanzmärkte, korrupte Abgeordnete, der Verfassungsschutz und Parteiensponsoring gemein? Sie wurden durch demokratische Prozesse legitimiert, beschädigen die Demokratie fahrlässig und setzen sie damit aufs Spiel. Ein Essay von Ulrich Maurer

Der Hannover-Sumpf

Monatelang kamen neue Details über den Bundespräsidenten Wulff zutage, wie er sich als Schnäppchenjäger ein neues Auto gönnt, sich im Hotel oder Flugzeug upgraden oder Werbekampagnen für sein Buch von Freunden finanzieren lässt. Damit allein war er als oberster Repräsentant des Landes nicht mehr tragbar. Das verstand fast jeder außer Kanzlerin Merkel. Jeder Beamte hätte bei gleichen Verdachtsmomenten ein Verfahren am Hals gehabt, bis zu dessen Ende er seine Tätigkeit hätte ruhen lassen müssen. Dieses Klammern an Amt und »Würden« wirft ein verheerendes Licht auf alle Politiker und auf die demokratische Verfasstheit unseres Staates. Doch nicht Wulff ist in Wahrheit das Problem. Es geht um seine Freunde. Seine aktuellen Freunde sind die ehemaligen Freunde Gerhard Schröders, beispielsweise Herr Masch-meyer. Er hat nicht nur Wulffs Biografie beworben, er hatte bereits 1998 Einfluss auf die Bundeskanzlerfrage innerhalb der SPD genommen, als er in der BILD am Tag vor der Landtagswahl in Niedersachsen Schröder mit dem Slogan bewarb: »Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein.« Dafür zahlte er 650.000 DM. Dass Maschmeyers Finanzkonzern AWD nach der Wahl Schröders am meisten von der Einführung der Riester-Rente profitierte, ist Fakt – ob dieses dubiose Rentenkonstrukt auch in einem Partykeller in Hannover beschlossen wurde, ist nicht bewiesen, aber aus irgendeinem Grund sperrt sich die SPD in Niedersachsen gegen einen Untersuchungsausschuss zur Causa Wulff. Damit diese Frage nicht beantwortet werden musste, trat er nach Monaten der Debatte nun doch endlich zurück. Ein dritter Bundespräsident binnen zwei Jahren ist eine Schande für einen demokratischen Staat, und das fällt auch auf die Kanzlerin zurück, die damit unterstreicht, dass ihr moralische und politische Integrität gegenüber der Demokratie fremd sind.
 

Wulffs Nachfolge soll nun Joachim Gauck antreten. Gaucks Nominierung ist wenigstens ehrlich: CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP, die der unregulierten Spekulation an den Finanzmärkten Tür und Tor öffneten, nominieren nun einhellig ihren Kandidaten, der sich für Kriegseinsätze und für die Spekulation an den Finanzmärkten ausspricht. Ein weiteres Trauerspiel im Drama von SPD und Grünen, die zwar vorgeben, sich wieder stärker für eine sozialere Politik und gegen Kriegseinsätze einzusetzen, aber dann doch im entscheidenden Moment nichts davon wissen wollen. So leisten sie wiederholt der Demokratie einen Bärendienst und tragen zur Aushöhlung der Demokratie bei.

Politik gegen die Mehrheit:
 Die Entfesselung der Finanzmärkte

Apropos Gerhard Schröder: Er hat zusammen mit Joschka Fischer viel zum Unmut der Bevölkerung beigetragen. Die Rente mit 67, die Hartz-Gesetzgebung, der Afghanistankrieg und die Deregulierung der Finanzmärkte – all das waren Entscheidungen, die durch das Parlament gepeitscht und gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung beschlossen wurden. Bei vielen Wählerinnen und Wählern erzeugte die von Schröder geprägte Basta-Politik Frustration und Resignation. Die Entfesselung der Finanzmärkte, die Börse als Casino, in dem nicht nur auf Immobilienschulden, sondern sogar auf das Ableben von Lebensversicherungsnehmern oder auf den Zusammenbruch ganzer Volkswirtschaften gewettet wird, sind Erblasten, die Europa in eine tiefe Krise gestürzt haben. Geändert hat sich daran in den letzten Jahren nichts – unabhängig davon, ob SPD, Grüne, CDU oder die FDP an der Regierung waren. Mehr und mehr haben sich die europäischen Regierungen selbst entmachtet und sich dem Diktat der Finanzmärkte mit den Ratingagenturen als deren schärfstem Instrument unterworfen. Die Rettung der Banken, das Ringen mit der horrenden Staatsschuldenlast wird auf dem Rücken des Souveräns organisiert.

Die gekaufte Politik

Die Frage nach der Unabhängigkeit der Politik ist auch eine Frage der Finanzierung der Parteien. Dabei sind Parteispenden nach den Skandalen der 90er Jahre in aller Munde. Spätestens seitdem 2003 das Parteispendengesetz verschärft wurde, ist für jeden Bürger ersichtlich, wer sich wie verpflichtet. Wer vermutet, dass SPD, Union, Grüne und FDP vor diesem Hintergrund der massiven finanziellen Einflussnahme von Großunternehmen Einhalt geboten hätten, irrt gewaltig. Am deutschen Spendenwesen genesen die etablierten Parteien noch immer. Nur mittlerweile spricht man von Parteiensponsoring. Dieses erlaubt Parteien, Werbekooperationen mit Unternehmen einzugehen und dafür gewaltige Einnahmen zu erzielen. Ein Beispiel: Im Vergleich zur Internationalen Automobil Ausstellung in Frankfurt zahlte VW beinahe den doppelten Mietpreis für seinen Präsentationsstand auf dem CDU-Bundesparteitag. Angenehm für beide Seiten. Die CDU erhielt dafür umgerechnet 60.000 Euro. Hätte VW diese Summe gespendet, wären sie schriftlich als Spender ausgewiesen worden und hätten eine Spendenbescheinigung erhalten. So kann VW die Ausgabe als Investition steuerlich geltend machen und der Konzernname taucht in keiner Spenderliste auf.

Den Bürgerinnen und Bürgern indes steht dieses Mittel nicht nur Verfügung. Sie können sich weder Gesprächszeit mit Ministerpräsidenten kaufen noch über große Geldsummen das Wohlwollen ganzer Parteien ersteigern. 

Kampf für die Demokratie
unter Generalverdacht

Die Demokratie ist in Gefahr. Milliarden für Banken und Krisenpolitik auf dem Rücken der Menschen in Europa auf der einen Seite, persönliche Gefälligkeiten und massive finanzielle Einflussnahme auf der anderen Seite zeichnen ein düsteres Bild des Zustands unserer Demokratie. Das muss sich ändern: Deshalb brauchen wir zuallererst die Wiederherstellung des Primats der Politik über die Finanzwirtschaft. Zugleich brauchen wir ein Verbot von Unternehmensspenden an Parteien. Die Politik muss sich endlich wieder auf die Mehrheitsinteressen der Bevölkerung verpflichten.

Das fordert die Fraktion DIE LINKE. Dass ausgerechnet ihre Abgeordneten vom Inlandsgeheimdienst überwacht werden, zeigt, was die Uhr geschlagen hat. Dieser Inlandsgeheimdienst, der sich gerne als Verfassungsschutz bezeichnet, sah über ein Jahrzehnt dabei zu, wie Menschen in unserem Land organisiert mit rechtsterroristischem Hintergrund hingerichtet wurden. Mehr noch: Er half sogar dabei, rechtsterroristische Strukturen aufzubauen. Dieser Inlandsgeheimdienst muss abgeschafft werden. Wenn ein Inlandsgeheimdienst einen Zweck erfüllen sollte, dann den, demokratiefeindliche Strukturen zu überwachen und ihre Taten zu verhindern. Deswegen forderte DIE LINKE als erste Fraktion im Bundestag einen Untersuchungsausschuss. Sie wird dort konsequent für Aufklärung sorgen und den Sumpf der Verstrickungen zwischen staatlichen Institutionen und braunen Gewalttätern trockenlegen.

Für einen neuen
demokratischen Aufbruch

Die Regierenden haben sich und das Parlament entmachtet. Sie haben sich in ein undurchdringbares Geflecht von Abhängigkeiten begeben – ob gegenüber Banken und Konzernen oder finanzstarken Lobbyisten. Das Resultat: eine Politik, die Rücksicht auf Einzelinteressen nimmt und zugleich Millionen Menschen schröpft und entmündigt. DIE LINKE hingegen fordert einen neuen demokratischen Aufbruch. Sie sieht sich dabei an der Seite der Bevölkerung, die ihr Recht auf Mitbestimmung einfordert – im Parlament wie auch auf der Straße.

Ulrich Maurer ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE