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„Die Bundesanwaltschaft deckt den Verfassungsschutz“

erschienen in Klar, Ausgabe 39,

Seit zwei Jahren findet der NSU-Prozess im Oberlandesgericht München statt. Friedrich Burschel war an den meisten Prozesstagen als Korrespondent dabei.

Jüngst wurde aufgedeckt, dass die mutmaßlichen NSU-Mitglieder Beate Zschäpe und Uwe Mundlos bei einem V-Mann gearbeitet haben. Hat das eine Rolle gespielt?   Friedrich Burschel: Nicht wirklich, obwohl die beiden dort in den Jahren 2000 bis 2002 tätig gewesen sein sollen – zu einem Zeitpunkt also, als das Morden schon begonnen hatte. Und: Dieser ungeheuerliche Zusammenhang ist erst jetzt durch den Kollegen Dirk Laabs ans Licht gekommen, nicht durch die Bundesanwaltschaft (BAW), sondern durch journalistische Recherche.    Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit der ermittelnden Behörden mit dem Verfassungsschutz?   Leider verdichtet sich der Eindruck, dass die Bundesanwaltschaft den Verfassungsschutz und sein V-Leute-System deckt. Die BAW bunkert weitere, für das erste NSU-Verfahren durchaus relevante Erkenntnisse in einem sogenannten Unbekannt-Verfahren. Dort werden Vernehmungen, Untersuchungs- und Ermittlungsergebnisse als geheim geparkt. In der Anklage steht nichts über das Unterstützenden-Netzwerk, das mehrere Dutzend Personen umfasste und dessen Existenz inzwischen von fast niemandem angezweifelt wird. Die BAW spielt nicht mit offenen Karten. Sie macht sich den geheimdienstlichen Quellenschutz, also den Schutz der V-Leute, zu eigen.   Wie wird man eigentlich ein V-Mann?   V-Leute sind keine verdeckt Ermittelnden, keine im Untergrund arbeitenden Staatsbediensteten. Es sind Leute aus der Szene, im Übrigen auch nicht nur der rechten Szene. Man wird angeworben, etwa mit bestimmten Lockungen und Vorteilen wie Hafterleichterung, technischem Support wie Computer, Handys, Autos, Reisespesen oder schlicht Geld als Spitzellohn. Von Tino Brandt, dem Giga-V-Mann des Landesamts in Thüringen weiß man, dass er mindestens 200.000 D-Mark erhalten hat.   Man kann sich der Loyalität der V-Leute also nicht sicher sein?   Ja, das lässt sich am V-Mann Ralf Marschner, der Zschäpe und Mundlos beschäftigt haben soll, gut darstellen: Hätte er die flüchtigen NSU-Mitglieder bei sich angestellt und als V-Mann die Behörde über deren Aufenthalt informiert, hätten sie festgenommen und weitere Morde, Sprengstoffanschläge und Raubüberfälle verhindert werden können. Entweder hat Marschner seinen Job nicht gemacht und die Information zurückgehalten, oder er hat den Sachverhalt gemeldet und man ist dort untätig geblieben – dann wäre das Amt mit verantwortlich für die weiteren Morde des NSU.   Was hat Sie im bisherigen Prozess besonders erschüttert?   Der Auftritt einiger V-Leute und beamteter V-Mann-Führer: ihr gleichermaßen bockiges wie dreistes Auftreten. Zum Beispiel Kai Dalek, ein V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes, der von sich als „Ich als Verfassungsschutz“ sprach. Oder Reinhard Görlitz, ein Brandenburger V-Mann-Führer, der vermummt und mit Perücke zur Vernehmung erschien: ein Staatsbediensteter, der jede Kooperation verweigerte und sehr kreativ mit der Wahrheit umging.      Friedrich Burschel arbeitet als Referent zum Schwerpunkt Neonazismus für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin. Er ist akkreditierter Korrespondent des nicht kommerziellen Lokalsenders Radio Lotte Weimar im NSU-Prozess und Mitarbeiter des Internetprojekts NSU-Watch: www.nsu-watch.info