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»Die Auswirkungen sind vorhersehbar«

erschienen in Querblick, Ausgabe 12,

Balance hatte sich gemeinsam mit elf weiteren Verbänden gegen eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes ausgesprochen.

Wie beurteilen Sie die jetzt vom Bundestag beschlossenen Gesetzesänderungen?
Der Gesetzesentwurf regelt alle Schwangerschaftsabbrüche nach der 12. Schwangerschaftswoche neu. Dabei wurden in erster Linie Abbrüche nach Pränataldiagnostik diskutiert. Meines Erachtens muss die Intention der Gesetzesänderungsinitiative in Frage gestellt werden.

Aus der tatsächlichen Anzahl sogenannter Spätabbrüche lässt sich aktuell kein Regelungsbedarf ableiten. Laut Statistischem Bundesamt gab es 2007 in Deutschland 2302 Abbrüche ab der 13. Schwangerschaftswoche. Mit 1,9 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche sind das – auch im internationalen Vergleich – sehr wenig. Die meisten westeuropäischen Länder haben wesentlich mehr Spätabbrüche; Großbritannien zum Beispiel etwa fünfmal so viele.
Dazu wird eine möglicherweise positive Auswirkung der Gesetzesänderung, nämlich die flächendeckende, kompetente Beratung, konterkariert, indem sie überhaupt nicht untersetzt ist – weder finanziell noch konzeptionell. Dabei gibt es bereits jetzt Defizite an qualifizierten Beratungen, insbesondere zur Pränataldiagnostik.

Was wären aus Ihrer Sicht sinnvolle Schritte gewesen, um die Angebote an Frauen in schwierigen Konfliktsituationen zu verbessern?
Dazu gehören drei zentrale Punkte. Erstens können Fachinformationen für Frauen und Hinweispflichten von Ärztinnen und Ärzten auf untergesetzlicher Ebene verbessert und beispielsweise in die Mutterschaftsrichtlinien implementiert werden. Der Mutterpass sollte als wichtiges Dokument überarbeitet werden. Zweitens sind Frauen nach diagnostizierter fötaler Fehlbildung in einer schweren Krisensituation, in der sie schnelle Krisengespräche benötigen, die ihnen zu einer eigenständigen Entscheidung verhelfen.

Drittens erscheint uns ein komplexes, kostenfreies und qualifiziertes Beratungsangebot zur Bewältigung eines Schwangerschaftsabbruches infolge Diagnose einer Fehlbildung des Kindes bzw. bei Lebensgefahr für Mutter und/oder Kind ebenso dringend erforderlich.

Sehr bedeutsam ist der offene Umgang mit solchen Fragen: Warum soll ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden? Was bedeutet es, mit einem behinderten Kind zu leben? Diese Offenheit ist notwendig, anstatt Ärztinnen und Ärzte beim Beratungsgespräch in einen Strafkonflikt zu bringen.

Damit sprechen Sie die eingeführte Pflichtberatung an. Die übt keinen »direkten« Druck auf Frauen aus, sondern wirkt über einen Umweg: über Ärztinnen und Ärzte. Welche Auswirkungen befürchten Sie durch diese Regelung?
Für Ärzte stellt die neue Verpflichtung, Frauen in einer solchen Konfliktsituation medizinisch und zugleich psychologisch beraten zu müssen, aus unserer Sicht eine zusätzliche Hürde dar. Denn Pränataldiagnostiker sind nicht per se psychologische Berater. Dies bedarf einer Ausbildung und Zusatzqualifikation.

Wenn zudem Bußgelder und Strafen drohen, ist eine Verunsicherung der Mediziner vorauszusehen. Es ist mit einer dramatischen Abnahme an medizinischen Indikationen zu rechnen, weil sich nur noch wenige Ärztinnen und Ärzte auf dieses juristische Risiko einlassen werden. Angesichts der Tatsache, dass schon heute jede fünfte Frau zum Schwangerschaftsabbruch ins Ausland fährt, sind die Auswirkungen relativ leicht vorhersehbar.
Interview: Jutta Kühl