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Der Pflegeaufstand

erschienen in Clara, Ausgabe 46,

Ob Krankenpflege, Altenpflege, ambulante oder häusliche Pflege, überall sind die Beschäftigten überlastet. Das ist zuallererst ein Versagen der Politik, alle Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte tragen Verantwortung für den Pflegenotstand. Im Pflegedienst der Kliniken gab es im Jahr 2016 im Vergleich zu 1996 insgesamt 27.000 Vollzeitstellen weniger. Das entspricht einem Personalabbau von über 8 Prozent. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der zu behandelnden Fälle in den Krankenhäusern aber um 20 Prozent. Internationale Studien weisen den Zusammenhang zwischen zu wenig Pflegepersonal, einer schlechteren Arbeitsqualität und häufigen Komplikationen bis hin zu Todesfällen bei Patientinnen und Patienten nach. Auch in der ambulanten und stationären Altenpflege nimmt der Pflegenotstand durch Kommerzialisierung und Unterfinanzierung zu. Mittlerweile sind die sechs größten Heimbetreiber private Unternehmen. Mehr als die Hälfte der Pflegedienste ist ebenfalls in privater Trägerschaft. Zu den Privatisierungsfolgen zählen steigende Konkurrenz unter den Anbietern, der Druck auf die Löhne und eine enorme Arbeitsverdichtung. Beschäftigte klagen über zu knappe Zeitvorgaben für eine bedarfsgerechte Pflege. Damit nimmt die Gefahr von Pflegefehlern zu. Das trifft vor allem die Pflegebedürftigen. Aber auch Pflegerinnen und Pfleger zahlen einen hohen Preis dafür, dass sie täglich an ihren und über ihre Belastungsgrenzen hinaus arbeiten. Überbelastung wird zum Dauerzustand. Burn-out, Arbeitsunzufriedenheit und berufsbedingte Krankschreibungen sind die Folge. Bei Letzterem belegen Pflegeberufe regelmäßig traurige Spitzenpositionen im Vergleich mit anderen Branchen. Viele befürchten, ihren Beruf nicht bis zur Rente durchzuhalten, hochqualifizierte Pflegekräfte verlassen schon nach wenigen Jahren ihren Job. Für die Flucht aus der Pflege gibt es bereits eine eigene Bezeichnung: Pflexit.

Wege zur guten Pflege

In den Kliniken arbeiten zu 70 Prozent Frauen, in der Altenpflege sogar zu 80 Prozent, viele von ihnen in ungewollter Teilzeit. Obwohl Pflegearbeit für die gesamte Gesellschaft wichtig ist, was in Sonntagsreden auch immer wieder gern betont wird, erfährt sie offiziell kaum Wertschätzung. Den Beschäftigten reicht es jetzt. Sie zeigen sich, wehren sich: schreiben offene Briefe, initiieren Petitionen, protestieren auf der Straße, streiken für mehr Personal. DIE LINKE. im Bundestag unterstützt das Pflegepersonal seit vielen Jahren. Denn mehr Personal, gute Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung in Gesundheit und Pflege sind längst überfällig. Sowohl im Interesse der Beschäftigten als auch der zu Pflegenden und ihrer Angehörigen.

Grundlegende Veränderung und Verbesserungen können deshalb nicht erneut auf die lange Regierungsbank geschoben werden. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen müssen konsequent am Gemeinwohl ausgerichtet werden. Wirtschaftlicher Wettbewerb und die Möglichkeit, mit Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen Profit zu erzielen, müssen beendet werden. Im Parlament streitet die Fraktion DIE LINKE auch in dieser Legislaturperiode für die Pflegerinnen und Pfleger wie für die Pflegebedürftigen. Veränderung aber, so scheint es, geht nur mit dem Aufstand der Beschäftigten. Der hat lautstark, klug und sachlich begonnen, und der Minister täte gut daran, die Forderungen ernst zu nehmen und endlich Menschen vor Profite zu stellen, um den Pflegenotstand zu stoppen.

Harald Weinberg ist gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE