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Der Mietenwahnsinn erreicht die Normalbürger

erschienen in Clara, Ausgabe 46,

Unter dem Titel »Die neue Angst« widmete die Berliner Zeitung am 14. April 2018 eine Doppelseite dem Thema Wohnungsnot in der Hauptstadt. Vor allem Betroffene kamen zu Wort. Die Alleinerziehende, die nach der Modernisierung ihres Hauses eine saftige Mieterhöhung befürchtet. Die Rollstuhlfahrerin, die das Fehlen von 40.000 barrierefreien Wohnungen in Berlin beklagt. Der Clubbetreiber, der wegen der Verdrängung das Szeneleben in Gefahr sieht. Die Künstlerin, deren Atelier demnächst eine Eigentumswohnung wird. Der Mieter, der vor Gericht um seine Wohnung kämpft. Die Kinderladenleiterinnen, deren Mietvertrag endet und die keinen bezahlbaren Ersatz finden.

Um sie und viele andere Betroffene ging es bei der großen Mieterdemonstration, die am selben Tag stattfand und Anlass für die umfangreiche Berichterstattung war. Zu dem Protest aufgerufen hatte das größte Mieterbündnis, das es in Berlin je gegeben hat. Es besteht aus etwa 250 Initiativen und Organisationen – darunter viele Mieterzusammenschlüsse, kämpfende Hausgemeinschaften, bedrohte Kitas, selbstorganisierte Flüchtlinge, die IG Metall, ver.di, die evangelische Kirche.

Ihr Anliegen ist mit dem Motto der Demonstration ganz klar formuliert: »Widersetzen – gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn.« In einer jüngst veröffentlichten Studie wurde in 150 Städten weltweit die Steigerung der Immobilienpreise untersucht. Hamburg kam auf Platz 7, München auf Platz 8 und Frankfurt am Main auf Platz 10. Mit einer Steigerungsrate von über 20 Prozent innerhalb eines Jahres lag Berlin aber ganz klar vorn und hat damit inzwischen jede andere Metropole dieser Welt hinter sich gelassen.

Die Preise für neu vermietete Wohnungen sind in der Hauptstadt seit 2008 um 76 Prozent gestiegen, fast jeder zweite Berliner hat Angst, in den nächsten Jahren seine Wohnung zu verlieren. Was für die einen ein lukratives Geschäft und damit Grund zu heller Freude ist, gibt vielen anderen Anlass zu großer Sorge. Es ist einfach die Furcht davor, sich ein Dach über dem Kopf nicht mehr leisten zu können. 85 Prozent der Berlinerinnen und Berliner wohnen zur Miete. Sie bangen um ihre Bleibe, so wie Künstlerinnen und Künstler um ihre Ateliers, Gewerbetreibende um ihre Geschäfte. Gemeinsam sind sie an diesem 14. April auf die Straße gegangen, um sich gegen eine menschenfeindliche Politik zu wehren. Wer mit Wohnungen handelt, spekuliert mit Menschen.

Die Demo erinnerte ein wenig an den 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz. Sie war bunt, vielfältig, kreativ. Zahlreiche selbstgestaltete Transparente und Plakate, kämpferische Sprechchöre, viel Humor und Fantasie. Und das generationsübergreifend. Viele Kinder aller Altersgruppen begleiteten gemeinsam mit ihren Eltern den Protestzug, der sich bei zum Teil strömendem Regen über viele Kilometer vom Potsdamer Platz über Kreuzberg bis nach Schöneberg bewegte. Die Initiatoren hatten 4.000 Menschen angemeldet, 25.000 sind gekommen. Das ist ein gutes Zeichen. Der Widerstand wächst, immer mehr Menschen sind nicht mehr bereit, den Ausverkauf ihrer Wohnungen, die Verdrängung aus ihrem Kiez, den mangelnden Schutz vor diesen Entwicklungen durch den Staat einfach hinzunehmen.

Fünf Lautsprecherwagen begleiteten die Demonstration, 26 Reden wurden gehalten. Zum Auftakt am Potsdamer Platz ergriff unter anderem Claudia Rische das Wort, Sprecherin des Bündnisses »Mietenwahnsinn widersetzen« und Mitglied eines Vereins, der sich gegen Luxussanierungen und die damit einhergehende Verdrängung von Mietern einsetzt. »Die Stadt«, sagte sie, »darf nicht zum Geschäftsraum verkommen, in dem die Immobilienwirtschaft und Konzerne ihre Gewinnerwartungen realisieren.«

In den Protestzug eingereiht hatten sich auch zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von bedrohten Wohngemeinschaften. Die aus der Dubliner Straße 8 marschierte ganz vorn mit. Jahrelang schon kämpft sie gegen ihren Rauswurf, gibt es Streit vor Gericht und Einschüchterungsversuche seitens der Eigentümerin und Hausverwaltung. Jetzt droht die Zwangsräumung, davon gibt es in Berlin täglich 20 bis 25 Nachbarschaftsinitiativen rund um die Stadtteilgruppe »Hände weg vom Wedding« haben sich zusammengetan, um zu verhindern, dass die Bewohnerinnen und Bewohner der Dubliner Straße 8 aus ihren Wohnungen geworfen und in die Obdachlosigkeit gedrängt werden.

Diese Art von Solidarität ist auch der Grund, warum an diesem Tag nicht wenige auf die Straße gingen, die von den Problemen (noch) gar nicht direkt betroffen sind. Viele sind gekommen, weil es ihnen ein Bedürfnis ist, sich gegen eine zutiefst ungerechte Wohnungspolitik zu stellen und den Protest zu stärken. Die 66-jährige Charlottenburgerin Barbara zum Beispiel. Sie kennt das Gefühl der Angst und Ohnmacht, hat aber, wie sie sagt, einen »Sechser im Lotto« gewonnen. Als sie aus ihrer Wohnung rausmusste, weil diese verkauft werden sollte, begann eine qualvolle Zeit des Suchens. Acht Monate vergingen, bis sie endlich über eine Genossenschaft eine bezahlbare Wohnung bekam. Dafür aber, sagt sie, sei sie ein Jahr vor der Rente in Hartz IV gegangen, um sich überhaupt Zeit für die Wohnungssuche nehmen zu können. Besichtigt hatte sie die Wohnung, für die sie am Ende den Zuschlag erhielt, gemeinsam mit weiteren 238 Bewerberinnen und Bewerbern: »Das war eine lange Schlange, und ich hatte genug Zeit, sie durchzuzählen.«

Pascal Meiser, Abgeordneter der Linksfraktion im Bundestag, kam direkt vom Berliner Landesparteitag der LINKEN zu der Demonstration. Gerade hatten die Delegierten des Parteitags beschlossen, den Bestand an Wohnungen, die nicht den Profitinteressen Einzelner dienen, deutlich auszuweiten. Pascal Meisers Wahlkreis ist Friedrichshain-Kreuzberg, dort wurde im vergangenen Jahr bei Neuvermietung die höchste Kaltmiete aller Berliner Bezirke verlangt, durchschnittlich 12 Euro pro Quadratmeter und damit 10 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Beeindruckt davon, wie viele Menschen sich an diesem Tag auf den Weg gemacht hatten, um lautstark und unübersehbar Protest zu artikulieren, wünscht er sich: »Ein nächstes Mal sollte die Demonstration vor dem Bundeskanzleramt enden. Man muss Angela Merkel die Probleme direkt vor die Haustür legen.«

Wie an jedem Wochenende lag der Berliner Zeitung auch am 14. April 2018 ein Immobilienteil bei. Auf einer ganzen Seite wurde dort »Neues Wohnen in besten Lagen« angeboten. Eigentumswohnungen zu horrenden Preisen. Dass es anders geht, zeigt Katrin Lompscher, LINKE-Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin (siehe Interview Seite 11). Gemeinsam mit dem ebenfalls LINKE-Bezirksbürgermeister von Berlin-Lichtenberg, Michael Grunst, hat sie gerade den Grundstein für ein Quartier mit 188 Wohnungen der Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE gelegt. Auch darüber ist im Immobilienteil zu lesen – auf einer knappen Viertelseite. Die Relationen müssen sich ändern. Nicht nur in der Seitenaufteilung.

Tatjana Behrend