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»Der Krieg ist verloren«

erschienen in Klar, Ausgabe 3,

EXKLUSIV-Interview mit Bestsellerautor Peter Scholl-Latour

»Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt«, postulierte der heutige SPD-Fraktionschef Peter Struck, als er noch Verteidigungsminister war. Stimmt das?

Scholl-Latour: Das ist Unsinn. Die Bundeswehr sollte so schnell wie möglich abziehen. Spätestens seit 2003 liegen der Bundesregierung Berichte der deutschen Kommandeure am Hindukusch vor: Die Lage ist verzweifelt, die Anschläge nehmen zu. Wenn es zu einem Aufstand der Stämme gegen die internationalen Truppen kommt, sind die deutschen Soldaten verloren. Für unsere Garnisonen gibt es keinen Evakuierungsplan, keine Exit-Option, noch nicht einmal Artillerie zur Verteidigung.

Werden die deutschen Soldaten, wie von den USA gewünscht, im Jahr 2007 auch im Süden Afghanistans kämpfen?

Scholl-Latour: Ich hoffe nicht. Aber der Prozess ist schon im Gang. Die von den UN beauftragte Stabilisierungsstreitmacht ISAF wurde mit den US-geführten Einheiten der Operation »Enduring Freedom« zusammengelegt. Ein US-General hat das Kommando. Damit gibt es keinen Unterschied zwischen vorwiegend zivilen Aufbauhelfern und Antiterrorkriegern mehr. Der afghanische Widerstand wird bei seinen künftigen Anschlägen auch nicht mehr unterscheiden.

Aus der Bundesregierung hört man, Deutschland dürfe nicht abziehen, sonst wären alle Aufbauleistungen der vergangenen Jahre verloren.

Scholl-Latour: Welche Aufbauleistungen? Was gibt es da, außer dem Drogenanbau? Die Opiumernte ist 2005 um 40 Prozent gestiegen, aus Afghanistan werden jetzt 92 Prozent der weltweiten Nachfrage bedient. Und die Bundeswehrsoldaten stehen in Sichtweite der Mohnfelder und schreiten nicht ein. Sie können auch nicht einschreiten, denn dann werden die Drogenbarone böse, und wenn sie mit den Aufständischen gemeinsame Sache machen, müssten unsere Soldaten fliehen. Die Bundeswehr kann sich nur halten, indem sie mit den Verbrechern kooperiert. Damit ist der Krieg verloren. Weil Sie die Bundesregierung genannt haben: Mir scheint, dass die schlimmste Kriegspartei in der Opposition ist.

Welche meinen Sie?

Scholl-Latour: Die Grünen. Die einstigen Pazifisten sind überall vornedran, wenn es um Auslandseinsätze geht. Der grüne Tom Koenigs, UNGouverneur in Afghanistan, fordert die Verlegung der Bundeswehr in den Süden Afghanistans. Die Bundesregierung hält sich da noch zurück.

Was erwarten Sie 2007 im Libanon? Wozu ist es gut, dass die deutsche Marine den Waffenschmuggel auf See unterbindet?

Scholl-Latour: Eine effektive Kontrolle ist sowieso nicht drin. Gottseidank sind deutsche Soldaten wenigstens nicht an Land stationiert. Aber auch so können sie leicht zwischen die Fronten geraten. Dabei sollten sie nicht nur Beschuss durch die Hizbollah fürchten. Auch die Israelis können den deutschen Schiffen gefährlich werden, wie die Scheinattacken Ende Oktober 2006 gezeigt haben. Mich hat das an das US-Aufklärungsschiff Liberty erinnert, das israelische Kampfflugzeuge 1967 bombardierten, angeblich irrtümlich.

Kann die Lage eskalieren?

Scholl-Latour: Aber natürlich. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer unendlichen Weisheit gesagt, dass die Bundesmarine vor der Küste Libanons den Auftrag habe, Israel zu schützen. Dies steht im Widerspruch zum unparteiischen Mandat der UN-Resolution 1701, die Grundlage des Einsatzes ist. Selbst wenn Frau Merkel so etwas denkt, darf sie es nicht sagen. Es provoziert die Hizbollah-Kämpfer unnötig. Und dass die Raketen haben, um Schiffe zu versenken, haben sie während des Krieges im Sommer 2006 bewiesen.

Oskar Lafontaine wurde von den anderen Parteien sehr gescholten, weil er gewarnt hat, die deutsche Beteiligung an den USKriegen hole uns den Terror ins Land.

Scholl-Latour: Das sagen doch sogar die US-Geheimdienste in ihren Expertisen. Selbstverständlich hat der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan die Terrorgefahr bei uns erhöht. Wobei man nicht alles auf Osama bin Laden schieben sollte. Der hat die Anschläge des 11. September bestimmt nicht organisiert. Er hatte doch in seiner afghanischen Höhle keine Flugpläne aus den USA, um irgendetwas zu koordinieren. Und falls er heute überhaupt noch lebt, kann er kein Telefon, kein Fax und kein Internet benutzen, wenn er nicht sofort geortet werden will. Wie kann er da Terror in Auftrag geben?

Wie kommt Deutschland raus aus dem Schlamassel?

Scholl-Latour: Die NATO ist obsolet. Damit meine ich nicht das politische Bündnis mit den USA. Aber die militärische Einbindung hat keinen Sinn mehr. Ich erinnere an Staatspräsident Charles de Gaulle: Unter seiner Führung ist Frankreich 1966/67 aus der integrierten Militärstruktur des Bündnisses ausgeschert, ohne die Mitgliedschaft in der NATO insgesamt aufzukündigen.

Interview: Jürgen Elsässer