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Der endlose Krieg in Syrien

erschienen in Clara, Ausgabe 46,

Nach sieben Jahren Krieg in Syrien müssen wir eine erschreckende Bilanz ziehen: über 400.000 Tote und 6 Millionen Vertriebene. Dazu eine unübersichtliche, wechselnde Frontlage und internationale Medien, die den Konflikt – je nach Interessenlage – unterschiedlich darstellen. Während über das Agieren von Russland und Iran in Syrien ausführlich berichtet wird, wird die Rolle des Westens als inaktiv beschrieben. Er hätte, so heißt es gemeinhin, sieben Jahre nur zugeschaut. Aber stimmt diese Darstellung?

Tatsächlich ist der Krieg in Syrien das jüngste Glied in einer Kette von Umbrüchen und Interventionen in der arabischen Welt. Das begann mit Tunesien in den Jahren 2010/2011 und Ägypten 2011. In Libyen wurde Muammar Gaddafi, ebenfalls 2011, infolge einer westlichen Intervention gestürzt und ermordet. Auch im Fall Syrien zieht sich der externe Einfluss wie ein roter Faden durch die Geschichte des Kriegs. Der sogenannte Syrische Nationalrat wurde im August 2011 im türkischen Istanbul gegründet, die »Nationalkoalition syrischer Revolutions- und Oppositionskräfte« im November 2011 in Doha, Katar. Das Gremium wird ohne völkerrechtliche Basis von mehreren ausländischen Regierungen anerkannt, darunter auch Deutschland. Die Nahostexpertin und Journalistin Karin Leukefeld weist darauf hin, dass Jordanien von Beginn an als Ausbildungsort für die bewaffnete Opposition diente. Trainiert wurden die Milizen unter anderem von den britischen und US-amerikanischen Auslandsgeheimdiensten MI6 und CIA.

Die These vom spontanen Aufstand

Auch bei einem genaueren Blick auf die bewaffneten Akteure gerät die These eines spontanen Aufstands ins Wanken. Denn bei der Militarisierung der Proteste waren von 2011 an die radikalislamischen Muslimbrüder führend beteiligt. Kämpfer der in hiesigen Medien als »gemäßigte Rebellen« bezeichneten »Freien Syrischen Armee« (FSA) wurden in Trainingslagern in der türkischen Grenzregion ausgebildet und bewaffnet. Es folgte die plündernde und mordende Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS). Unterstützt wurde diese Gruppierung nachweislich auch von der Türkei, die ihre Grenzen für IS-Kämpfer, Erdölschmuggel und Waffentransporte geöffnet hatte. Nachhaltiger noch sorgte die saudische Diktatur über weltweit agierende Salafistenmissionen für neue IS-Rekruten aus über 100 Staaten. Über all das schaut die Bundesregierung nicht nur seit Jahren hinweg, sondern steigert sogar noch die Exporte von Rüstungsgütern nach Saudi-Arabien und in die Türkei.

Das Völkerrecht wird dabei mit Füßen getreten. Juristisch betrachtet, ist das Eingreifen in den militärischen Konflikt nur unter zwei Bedingungen legal: mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats oder auf Einladung der Regierung. Zumindest auf diese Basis können sich Russland und der Iran berufen. Nichtsdestotrotz hat DIE LINKE. im Bundestag auch diese militärischen Interventionen verurteilt, weil wir Krieg als Mittel der Politik ablehnen. Westliche Staaten haben diese völkerrechtliche Legitimation allerdings nicht, was sie nicht von massiven Interventionen abhält. Das Projekt »The Day After« – unter Beteiligung der USA und der deutschen, regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik – entwarf bereits 2012 eine Nachkriegsordnung für Syrien, lud prowestliche syrische Oppositionsvertreter mehrfach nach Berlin ein. Und der westliche Staatenbund mit dem euphemistischen Namen »Freunde Syriens« ist einer der wichtigsten militärischen und finanziellen Unterstützer der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien.

Geld, Militärtechnik und Know-how aus dem Westen

Deutschland ist nicht nur in dem Regime-Change-Club der »Freunde Syriens« tief verstrickt. Millionen Euro sind in den sogenannten Syria Recovery Trust Fund gepumpt worden – ein völlig intransparentes Aufbauprogramm, das den Gebieten unter Kontrolle islamistischer Milizen zugute kommt. Die Bundeswehr ist wichtiger Bestandteil des militärischen Kampfes der NATO-Staaten und ihrer Verbündeten um die Macht in Syrien und der angrenzenden Staaten, vor allem Irak. Ohne UN-Mandat hat die Bundesregierung schon Ende 2015 deutsche Soldaten in die »Anti-IS-Allianz« geschickt. Deutsche Tornado-Aufklärer sammeln seither Daten für westliche Angriffe in Syrien. Diese sollen vorgeblich dem IS gelten, richten sich zunehmend aber gegen kurdische Kräfte und syrische Regierungstruppen. Zugleich haben AWACs-Aufklärer der NATO ihren Aktionsradius deutlich erhöht. Und Panzer aus deutscher Produktion und mit türkischer Besatzung rollen gegen die kurdischen YPG-Einheiten, die den Norden Syriens effektiv vor den Schlächtern des IS geschützt haben.

Die NATO-Staaten haben den völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei in den Norden Syriens bis heute nicht verurteilt, geschweige denn ihre Rüstungsexporte an die Türkei eingestellt. Dabei kam es nicht nur bei den Angriffen, die sich auch gegen die kurdische Zivilbevölkerung richteten, zu zahlreichen Kriegsverbrechen. Nach der Besetzung von Afrin folgten ethnische Säuberungen: Die ansässigen KurdInnen, JesidInnen, AlewitInnen und ChristInnen mussten das Gebiet verlassen, damit offenbar islamistische Milizionäre angesiedelt werden können, um die Region damit auch politisch zu dominieren.

Komplizierte Lage, machbare Lösung

Und warum das alles? In Syrien findet ein geopolitischer Kampf zur Neuordnung des Nahen Ostens statt. Schon Jahre vor dem Beginn der Umstürze in der arabischen Welt war in den USA darüber diskutiert worden, einen »sunnitischen Keil« in den »schiitischen Machtbogen« aus Iran, Syrien und dem Einflussgebiet der schiitischen Hisbollah im Libanon zu treiben. Diese religiösen Differenzen werden bewusst instrumentalisiert, um politische und wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Es geht um Hegemonie. Und um die natürlichen Ressourcen der Region.

So kompliziert die Lage ist, so einfach wäre die Lösung: Angesichts vielfältiger externer Motivationen von Regionalstaaten wie der Türkei, Israel und Iran, geopolitischen Planspielen von Großmächten wie den USA und Russland ist eine Rückkehr zum Völkerrecht unbedingt nötig. Die Bundesregierung gehört in diesem Zusammenhang zu den heftigsten Kritikern Russlands. Aber wie sind ihr Vorgehen und das ihrer Verbündeten zu werten? Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag hat beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags nachgefragt: Sowohl die türkische Invasion in Nordsyrien als auch die jüngsten Bombenangriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs auf Ziele in Damaskus sind völkerrechtswidrig und drehen die zivilisatorischen Fortschritte im Völkerrecht zurück, weil sie gegen das grundsätzliche Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen verstoßen.

Die Aufgabe der Fraktion DIELINKE. im Bundestag ist es, diese Widersprüche aufzudecken und grundsätzlich alle militärischen Eingriffe – egal von welcher Seite – zu verurteilen und auf politische Lösungen zu drängen. Auch für Syrien gilt: Es gibt keine militärische Lösung. Verhandlungen für eine politische Lösung mit breiter Beteiligung der syrischen Zivilgesellschaft, egal wie lange sie dauern, sind der einzige Weg, um das Land zu befrieden. Wir treten dafür ein, dass alle laufenden politischen Gespräche im Rahmen der UN stattfinden und dort zusammengeführt werden. Der wichtigste Beitrag der Bundesregierung wäre in jedem Fall, die Bundeswehr sofort aus der Türkei und aus Jordanien abzuziehen und jegliche Waffenlieferungen in die Region zu stoppen. Die bisherige deutsche Syrienpolitik jedenfalls hat diesen Krieg mit befeuert und politische Lösungen unterlaufen.

Heike Hänsel ist Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE