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„Das schönste Mädchen von Trier“

erschienen in Lotta, Ausgabe 6,

Eine Erinnerung an Jenny Marx. Ohne sie wäre ihr Mann Karl Marx wahrscheinlich halb so berühmt.

Als Karl Marx 1863 zur Beerdigung seiner Mutter von London nach Trier gereist war, schrieb er an seine Frau Jenny: „Ich bin täglich zum alten Westphalschen Hause gewallfahrt. Außerdem fragte man mich täglich, links und rechts, nach dem quondam (einstigen) ,schönsten Mädchen von Trier‘ und der ,Ballkönigin‘.“ In dem Buch „Jenny Marx. Liebe und Leid im Schatten von Karl Marx“ wird der Autor Lutz Graf Schwerin von Krosigk später neidvoll vermerken: „Es ist verdammt angenehm für einen Mann, wenn seine Frau in der Phantasie einer ganzen Stadt so als verwunschene Prinzessin fortlebt.“

Wer war diese „verwunschene Prinzessin“? Ihr Mädchenname: Jenny von Westphalen, geboren am 12. Februar 1814 in Salzwedel, in diesen Tagen hätte sie ihren 200. Geburtstag. Jenny von Westphalen stammt aus begüterten Verhältnissen. Ihr Vater, Ludwig von Westphalen, wird als preußischer Regierungsrat nach Trier berufen, zählt zum Beamtenadel und die Familie zur evangelischen Oberschicht der Stadt. Jenny bekommt eine – für die damalige Zeit und für Mädchen – ungewöhnlich gute Ausbildung. Sie lernt Französisch, aber auch Englisch. Der Vater, Anhänger der französischen Aufklärung, bringt ihr Vol- taire und Diderot nahe, ebenso die klassische und zeitgenössische Literatur. Die Familie besucht regelmäßig das Theater, und als Jenny im entsprechen- den Alter ist, auch die rauschenden Bälle der Stadt. Die Baronesse gilt als schön und geistvoll. Sie war das, was man eine gute Partie nannte.

Doch Jenny von Westphalen wählt einen anderen Weg. Sie sucht keine „gute Partie“, keinen standesgemäßen Mann. Sie verliebt sich in den vier Jahre jüngeren Karl Marx und verlobt sich heimlich mit ihm. Der Vater schätzt Karl Marx als klugen, eifrigen Gesprächspartner, aber er gilt „gesellschaftlich nichts“ und ist auch nicht im Stande, eine Familie zu ernähren. Die Verlobungszeit dauert sieben lange Jahre, eine quälende Zeit für Jenny. Marx studiert weit weg von ihr in Berlin, diskutiert mit Junghegelianern, ist Gast in literarischen Salons. Seine Jenny in Trier tröstet er derweil mit selbst verfassten Liebesgedichten. Im Jahr 1841 promoviert Marx, doch die Hoffnung auf eine Anstellung zerplatzt wie eine Seifenblase. An den Universitäten ist kein Platz für Freigeister. Trotzdem heiraten Jenny und Karl am 19. Juni 1843 in Bad Kreuznach.

Was beide nicht voraussehen konnten, ist das unstete Leben, sind die Entbehrungen und Sorgen, die vor ihnen liegen. Ihre Stationen heißen Köln, Paris, Brüssel, wieder Köln und schließlich - nach der gescheiterten Revolution und Ausweisung von Karl Marx aus Deutschland – ab August 1849 London. Jenny zieht ihrem Mann stets hinterher. Sie richtet Wohnungen ein, löst den Haushalt wieder auf, borgt und bettelt um Geld. Sie kümmert sich um die Kinder, muss tragisch erleben, wie einige von ihnen bereits im frühen Kindesalter sterben. Besonders die Anfangsjahre in Soho sind vollgepackt mit Leid und Armut, denn das Ehepaar zählt zu den vielen unzähligen geflüchteten Revolutionären in London. Nur Großbritannien gewährte damals politisch Verfolgten Asyl.

Jenny Marx war jedoch nie nur die mit- oder nachreisende Gattin. Sie nahm an Marx’ theoretischer und wissenschaftlicher Arbeit teil. Sie schrieb seine Manuskripte ab, denn Marx selbst besaß eine kaum leserliche Handschrift. Sie unterhielt einen regen Briefwechsel, empfing und bewirtete Freunde und Weggefährten, und in schlimmster Not brachte sie Wertvolles, so auch geerbtes Silberbesteck, ins Pfandhaus. Erst 20 Jahre nach der Hochzeit, ab 1863, verbesserte sich die finanzielle Situation der Familie. Hatte zu früheren Zeiten der finanziell gut gestellte Freund des Hauses, Friedrich Engels, immer mal ausgeholfen, sicher- ten nun mehrere Erbschaften den alltäglichen Unterhalt. Jenny Marx starb nach langer Krankheit am 2. Dezember 1881 in London. Die Grabrede hielt Friedrich Engels. Er sagte: „Was eine solche Frau, mit so scharfem und so kritischem Verstande, mit einem politisch so sicheren Takt, mit solch einer leidenschaftlichen Energie, solch großer Kraft der Hingabe, in der revolutionären Bewegung geleistet hat, das hat sich nicht an die Öffentlichkeit vorgedrängt. Was sie getan hat, wissen nur die, die mit ihr gelebt haben. Aber ich weiß, dass wir oft ihre kühnen und klugen Ratschläge vermissen werden.“