Zum Hauptinhalt springen

Bundeswehr raus aus Afghanistan

erschienen in Clara, Ausgabe 14,

Im Dezember entscheidet der Bundestag erneut über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. DIE LINKE ist gegen diesen sinnlosen Krieg.

Was kann Theater bewirken in einem Land, in dem die große Mehrheit der Bevölkerung keinen Zugang zu Elektrizität, Trinkwasser und Gesundheitsvorsorge hat und in dem Generationen im Krieg aufgewachsen sind? Mit dieser Frage kam der deutsch-bolivianische Theatermacher Hjalmar Joffre-Eichhorn nach Kabul, um Straßentheaterprojekte zu initiieren, in denen Kriegserfahrungen aufgearbeitet und Perspektiven eines friedlichen Zusammenlebens erarbeitet werden sollen. Auf der Bühne werden Themen spielerisch aufgenommen, die sonst aus Angst und Misstrauen verschwiegen werden. Die Resonanz der Teilnehmer macht Mut: »Niemals habe ich so viel gelernt und mich so respektiert gefühlt wie durch die Arbeit mit dem Theater der Unterdrückten«, berichtet ein 26-jähriger Anwalt, der sich entschieden hat, von nun an mit dem Theater zu arbeiten. Durch den Einsatz von NATO und Bundeswehr sieht Hjalmar
Joffre-Eichhorn solche Ansätze gefährdet.
Die Sicherheitslage hat sich nach acht Jahren Besatzung für die Bevölkerung deutlich verschlechtert. Der Krieg fordert jährlich mehr zivile Opfer. Trotz der stetigen Truppenverstärkung des Westens erreichten die Taliban bis heute eine Stärke wie seit 2001 nicht mehr und kontrollieren wieder mehrere Distrikte. Die Regierungen der Niederlande und Kanadas haben nun den Truppenabzug beschlossen, in Deutschland wird hingegen über eine Aufstockung debattiert. Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, kritisiert dies: »Mehr NATO-Soldaten in Afghanistan werden den Krieg nur weiter verschärfen.« Er kündigt an: »DIE LINKE wird im Dezember im Deutschen Bundestag gegen eine Verlängerung der Afghanistanmandate stimmen.«

Militärlogik durchbrechen!

Dass mehr Truppen noch mehr Unsicherheit, noch mehr Gefahr für die Zivilbevölkerung und für die zivilen Aufbauhelfer bedeuten - das sehen auch viele Hilfsorganisationen so und mahnen an, dass nur eine zivile Konfliktlösung und mehr Engagement für die Beseitigung der drängendsten sozialen Probleme eine friedliche Entwicklung in Afghanistan ermöglichen könnten.
Zivile Aufbauhelfer werden zunehmend auch als Bestandteil der Besatzung wahrgenommen und damit zum Ziel von Anschlägen. Die UNO hat am 5. November beschlossen, 600 Mitarbeiter, also die Hälfte ihres Personals in Afghanistan, vorübergehend abzuziehen, nachdem auf das Gästehaus der Vereinten Nationen in Kabul ein Anschlag mit mindestens 12 Toten verübt worden war. Das Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit, das Bestandteil des NATO-Einsatzes in Afghanistan ist, erhöht die Gefahr für die Aufbauhelfer noch. Denn Militärs treten quasi selbst als Entwicklungshelfer auf, um bei der Bevölkerung Akzeptanz für den Militär-einsatz zu schaffen. Zugleich wird in
dieser Kooperation mit Organisationen der Entwicklungshilfe und zivilen Verwaltungen das Ziel verfolgt, strategisch wichtige Informationen zu erhalten. Für die humanitäre Nothilfe bedeutet die Zusammenarbeit mit dem Militär den Verlust von Neutralität, die für ihre Arbeit wichtig
ist. »Sobald unsere Arbeit als Teil einer militärischen Strategie wahrgenommen wird, können wir nicht mehr arbeiten«, so der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Dr. Wolfgang Jamann, gegenüber »clara.«.

Welche Zukunft
hat Afghanistan?

»Je mehr Geld man in den militärischen Bereich investiert, desto weniger bleibt für die zivile Entwicklung übrig.« Auf diesen Zusammenhang macht Heike Hänsel, die entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, seit Jahren aufmerksam. Die Bundesregierung hat bislang rund vier Milliarden Dollar für den Militäreinsatz aufgewandt und damit fünfmal mehr als für den zivilen Aufbau. DIE LINKE fordert das Ende des Militäreinsatzes und eine Verstärkung der zivilen Hilfe.

Afghanistan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Nur 10 Prozent der Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Trinkwasser. Mit einer Einschulungsrate von 40 Prozent belegt Afghanistan nach wie vor einen der letzten Plätze weltweit. Zwar gehört das Land am Hindukusch bereits zu den größten Empfängern von Entwicklungshilfe. 25 Milliarden Dollar waren bis 2008 zugesagt worden, ausgezahlt wurden 15 Milliarden Dollar. 40 Prozent der Hilfe flossen jedoch direkt wieder in die Geberländer zurück - in Form von Beratergehältern oder Unternehmensgewinnen. Von dem, was im Land bleibt, landet nicht wenig in den Taschen korrupter Regierungsstellen oder lokaler Warlords, bei den Menschen kommt kaum etwas an.

Unter der Besatzung setzten die inter-nationalen Geber in Afghanistan ein marktradikales Wirtschafts- und Entwicklungskonzept durch: Privatisierung von Staatsbetrieben, Senkung von Importzöllen, ein Investitionsschutzgesetz, das einheimische und ausländische Unternehmen gleich behandelt und den vollständigen Transfer von Gewinnen ins Ausland ermöglicht. Lokale Produzenten, kleine Handwerksbetriebe oder Landwirte, wurden auf diese Weise von ihren Märkten verdrängt - mit verheerenden Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und auf die Ernährungssituation im Land. »So wird Entwicklung verhindert«, kritisiert Heike Hänsel.

Ein Arzt muss in Afghanistan etwa 7000 Menschen versorgen, wobei sich 80 Prozent der Ärzte in Kabul konzentrieren. Umso katastrophaler stellt sich die Versorgungssituation im Rest des Landes dar. Um dieser Situation zu begegnen, hat die 30-jährige Politikerin und Frauenaktivistin Malalai Joya in ihrer Heimatprovinz Farah, nahe der Grenze zum Iran und fernab der Reichweite internationaler Hilfe ein Gesundheitszentrum für Frauen und Kinder eingerichtet. Malalai Joya hatte als Gast der Fraktion DIE LINKE mehrmals Deutschland besucht und Spenden für ihre sozialen Projekte gesammelt.

Anfang Mai dieses Jahres hat der Krieg in voller Wucht auch ihre Provinz erreicht, als ein Bombenangriff der US-Luftwaffe mindestens 147 Zivilisten das Leben kostete. Ihre empörte Reaktion: »Die Afghanen wollen kein ›Sorry‹ hören, sondern wir fordern das Ende der Besatzung und das Ende solch tragischer Kriegsverbrechen. Die deutsche Be-völkerung soll wissen, dass ihre Truppen nicht mit den Geschenken Freiheit und Demokratie in Afghanistan sind, sondern, um eine Bande krimineller Führer zu erhalten.« Malalai Joya hat ihre Erfahrungen mit der vom Westen unterstützten »Demokratie« gemacht. Der heute 30-Jährigen, die 2005 mit einem der landesweit besten Stimmenergebnisse ins Parlament eingezogen war, wurde 2007 ihr Abgeordnetenmandat aberkannt, weil sie die Dominanz fundamentalistischer Warlords in der Regierung kritisiert hatte.

Die mutige Politikerin sieht die Frauen- und Menschenrechtsaktivisten in ihrem Land von zwei Gegnern bedroht - auf der einen Seite von den Taliban, auf der anderen von der Besatzung, die mit fundamentalistischen Kriegsherren paktiert. Dazwischen die demokratischen Bewegungen an der Basis, die kaum eine Chance bekommen, ihre Stimme hörbar zu machen. Dazu gehören Projekte wie das von Hjalmar Joffre-Eichhorn, das sich mit der Aufarbeitung von Verbrechen befasst, ein Bereich, dem in der afghanischen Gesellschaft kein offizieller Raum eingeräumt wird. »Wir sind auf internationale Unterstützung angewiesen«, sagt Malalai Joya. DIE LINKE unterstützt Frauen wie sie, weil wir überzeugt sind: Eine demokratische, friedliche und soziale Entwicklung in Afghanistan kann nur im Land selbst entstehen.