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Bewegung tut gut!

erschienen in Clara, Ausgabe 46,

Sein Markenzeichen ist der Kapuzenpulli. Mit seinen 27 Jahren gehört Michel Brandt zu den jüngsten Mitgliedern des Bundestags, und er ist ganz sicher der einzige Parlamentarier, der ein Schauspielstudium abgeschlossen und bis zu seiner Wahl ein festes Theaterengagement gehabt hat. Er spielte am Badischen Staatstheater in Karlsruhe die Titelfigur in den »Leiden des jungen Werther« und trat im November vorigen Jahres – zwei Monate nach seiner Wahl – noch dreimal in der Aufführung »Angriff auf die Freiheit«, nach einer Streitschrift von Juli Zeh und Ilija Trojanow, auf. Sehr erfolgreich! »Da musste ich erst Bundestagsabgeordneter werden, damit die Aufführungen endlich mal ausverkauft waren.« Das Spielen vermisst er. Die Schauspielerei war und ist sein Traumberuf, den er nicht aufgegeben, sondern nur unterbrochen hat, weil es ihn in die Politik zog. Zu viel lief einfach verkehrt, und er wollte selbst etwas ändern.

Michel Brandt wurde in der niedersächsischen Stadt Achim geboren und beteiligte sich schon in frühester Jugend an den Protesten gegen Castor-Transporte und Atomkraft. In seiner Wahlheimat Karlsruhe hat er Abschiebeblockaden organisiert und gegen Stuttgart 21 demonstriert. Er kämpft gegen den massiven Rechtsruck, der sich nicht nur hierzulande vollzieht, und setzt sich für die Rechte von Flüchtlingen ein. Sein Herz gehört der außerparlamentarischen Bewegung: der sozialen, ökologischen, antifaschistischen und antirassistischen. Und genau deshalb – so paradox es klingen mag – hat er sich zur Wahl gestellt für das oberste deutsche Parlament. »Das Gute ist«, sagt er, »dass man hier viel mehr Möglichkeiten hat, außerparlamentarische Aktivitäten zu unterstützen.« Er könne Ressourcen des Bundestags nutzen, um zum Beispiel die Arbeit von NGOs zu erleichtern oder Organisationen, die unter Druck stehen, Aufmerksamkeit und Gehör zu verschaffen. Und das nicht nur im eigenen Land: »Linke Bewegung geht nicht ohne Internationalismus.« Gerade war er als Wahlbeobachter in Venezuela. Unlängst sei er in Rom gewesen, um vor Ort die Entscheidung des obersten Gerichts Italiens zu verfolgen, ob das im August 2017 auf Lampedusa beschlagnahmte Schiff »Iuventa« an die deutsche Organisation Jugend Rettet zurückgegeben würde. Die jungen Menschen, deren erklärtes Ziel es ist, Menschenleben auf dem Mittelmeer zu retten, können damit seit Monaten keine Hilfe leisten. Gegen sie wird in Italien wegen angeblicher Beihilfe zur illegalen Migration ermittelt. Das Gericht lehnte die Freigabe ab. »Ein Skandal«, kritisiert Michel Brandt das Urteil. »Das ist der perfide Versuch, Hilfsorganisationen zu kriminalisieren.«

Weil er die Menschenrechte weltweit so bedroht sieht wie noch nie zuvor, wollte Michel Brandt im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe mitarbeiten. Als Obmann bekleidet er dort inzwischen eine gewichtige politische Funktion für die Linksfraktion. Darüber hinaus ist er stellvertretendes Mitglied im Kulturausschuss und Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Viel Arbeit, aber dafür ist Michel Brandt angetreten. Für seine Überzeugungen, für eine starke Verknüpfung außerparlamentarischer und parlamentarischer linker Politik. Seine Leidensfähigkeit hat er als Werther am Karlsruher Staatstheater ausgetestet und dafür viel Applaus bekommen. Jetzt ist der Bundestag in Berlin seine Bühne.

Tatjana Behrend