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»Auf politische Ereignisse aufmerksam machen«

erschienen in Clara, Ausgabe 42,

Laut Klischee handeln die Texte beim Death Metal von Gemetzel und Blutvergießen. Sie singen über Geschichte und Politik. Woher kommt der Unterschied zu anderen Metal-Bands?

Maik Weichert: Aus unserer Bandgeschichte. Wir haben als Band angefangen, weil wir unsere politische Meinung kundtun wollten. Bei Gitarre und Schlagzeug hören mehr Menschen zu, als wenn man Flyer verteilt. Manche Leute wollen unsere Band von der politischen Dimension der Texte trennen. Das geht nicht. Die Musik ist die Trägerrakete, die Texte sind der Sprengkopf. Der eine Teil bringt den anderen ins Ziel.

 

Sie haben das Gemälde »Lady Godiva« von John Collier auf ein Cover gepackt und singen über diese mittelalterliche Adlige, die einst nackt durch die Stadt geritten sein soll, um ihren Gatten zu Steuer­senkungen für die einfachen Leute zu bewegen. Was ist die Botschaft?

In der Legende übernimmt eine Angehörige der Elite Verantwortung für die Lebenssituation der einfachen Leuten. Das geht den heutigen Eliten in Politik und Wirtschaft völlig ab. Wenn man etwa – ohne ein Fan des rheinischen Kapitalismus zu sein – Zustände wie in der alten BRD hätte, wo Unternehmern und Politikern klar war, dass es auch einfachen Menschen gut gehen muss, wäre das ein Fortschritt. Das war selbst kapitalistischen Bonzen wie Ludwig Erhard bewusst.

 

Was ist Ihr roter Faden bei der Themenwahl?

Gibt es eigentlich nicht. Aber wir wählen Ereignisse, auf die wir aufmerksam machen wollen. Bei unserem Song über den deutschen Völkermord an den Herero und Nama (in Deutsch-Südwestafrika Anfang des 20. Jahrhunderts; Anm. d. Red.) wollten wir zum Beispiel dieses Thema wieder aus der Versenkung holen. Da hat Deutschland sich nicht mit Ruhm bekleckert. Kannte hier aber kaum jemand. Vielleicht wissen einige Zuhörer auch nicht, warum ihre Straße Salvador-Allende-Straße oder Rosa-Luxemburg-Straße heißt. Es geht uns auch darum, Helden und Vorbilder vor dem Vergessen zu bewahren.

 

Aber es geht Ihnen nicht nur um Geschichte.

Nein, wir wollen auch aktuelle politische Themen kommentieren. Nur: Wenn ich heute eine Nummer über ein tages­aktuelles Thema schreibe, erscheint das vielleicht in einem halben Jahr. Dann ist das Thema vielleicht schon durch. Wir wählen eher abgeschlossene Themen, die aber einen Hinweis auf heute geben. Wenn ich sagen will: Es ist falsch, dass die Bundeswehr in Afghanistan ist, kann ich erzählen, wie die Engländer, Amis und Russen dort auf die Klappe bekommen haben. Dann weiß jeder: Für die Bundeswehr wird es auch nicht gut ausgehen.

 

In dem Song »Antagonized« haben Sie über den oppositionellen DDR-Theologen Walter Schilling geschrieben. Das ist ungewöhnlich, denn Kirche steht im Death Metal nicht sonderlich hoch im Kurs.

Die ungewöhnliche Wahl liegt an Walter Schilling. Er hat sich in der DDR im urchristlichen Sinne – damals war ich noch Jungpionier – für ausgestoßene Jugendliche stark gemacht. Der Aufschrei dieser Langhaarigen und Punks, die nirgendwo hinkonnten, war für ihn etwas Urreligiöses. Ihnen wollte er eine Heimat geben. Er hat nicht gefragt: Bist du getauft, was hältst du von Jesus? Er hat gesagt: Jesus wird zu denen schon selbst kommen – und wenn nicht, dann eben nicht.

 

Was hat Walter Schilling konkret gemacht?

Er hat Auftrittsmöglichkeiten geschaffen, war ein wichtiger Impulsgeber für Blues-Messen. Für mich ist er ein echter Held. Ein Christ, wie ich ihn akzeptieren kann – auch als Agnostiker. Als Band haben wir Mitte der 1990er Jahre noch von einer Infrastruktur profitiert, die auf ihn zurückgeht. Unser Drummer hatte seinen ersten Proberaum in der Jungen Gemeinde. Und wir haben in ehemaligen Clubs im Thüringer Wald gespielt, die in der DDR mit kirchlicher Hilfe entstanden sind.

Das Interview führte Niels Holger Schmidt