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Angst vor Altersarmut wächst

erschienen in Clara, Ausgabe 40,

Mehr als eine halbe Million Rentnerinnen und Rentner sind auf Sozialhilfe angewiesen. Von Armut im Alter sind zunehmend auch Menschen bedroht, die einen Vollzeitjob haben – so wie Sabine Heurs (45) aus Berlin.

Gesund alt werden und im Ruhestand endlich das tun, was lange zu kurz kam: davon träumen Millionen Menschen. Doch für viele wird der Gedanke an das Alter zum Albtraum: Die Angst vor Altersarmut wächst. Bereits heute beziehen mehr als eine halbe Million Menschen im Rentenalter nur die Grundsicherung – Tendenz steigend. Knapp eine Million Menschen im Rentenalter rackern in Minijobs: Sie tragen Zeitungen aus oder füllen Regale in Supermärkten auf. Nicht wenige müssen Pfandflaschen sammeln oder vor einer Tafel nach Lebensmitteln anstehen.

Besonders betroffen von Altersarmut sind Teilzeitbeschäftigte, Alleinerziehende, Leiharbeitskräfte, Soloselbstständige und Scheinselbstständige und Erwerbslose: Ihr Lohn ist zu niedrig, um ausreichend in die Rentenversicherung einzuzahlen. Und eine Betriebsrente erhalten sie oft gar nicht.

Hinzu kommt, dass sich die private Altersvorsorge seit Jahren in der Krise befindet. Die schlechte Lage an den Kapitalmärkten wirkt zurück auf Lebensversicherungen und Riester-Renten. Ab dem Jahr 2017 soll der Garantiezins von 1,25 Prozent auf 0,9 Prozent sinken. Dieser Zinssatz bestimmt, welche Renditen Lebensversicherer ihren Kunden maximal versprechen dürfen. Damit reagiert das Bundesfinanzministerium auf die »aktuellen Marktverhältnisse«, eine Umschreibung für die Krise der kapitalmarktgedeckten Altersvorsorge.

Doch Armut im Alter droht mittlerweile auch gut ausgebildeten Menschen, die Vollzeit arbeiten. Eine von ihnen ist Sabine Heurs. Die 45-Jährige hat einen Hochschulabschluss, war im Ausland als Lehrkraft tätig. Als Dozentin an der Volkshochschule im Stadtbezirk Reinickendorf gibt sie Deutschkurse für Menschen aus aller Welt. In ihrem aktuellen Rentenbescheid kann sie nachlesen, was sie mit 67 Jahren zu erwarten hat: »Wenn ich so weiter einzahle wie bisher, habe ich 477,40 Euro Rente«, berichtet sie.

Sabine Heurs ist kein Einzelfall. Sie ist eine von über 600 hochqualifizierten Vollzeit-Lehrkräften an Berliner Volkshochschulen. Doch sie sind nicht fest angestellt, sondern hangeln sich von einem kurzfristigen Honorarvertrag zum nächsten. Anders als Lehrkräfte in staatlichen Schulen müssen sie aus eigener Tasche auch den Arbeitgeberbeitrag für die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung abführen. Unterm Strich bleibt so ein Nettoeinkommen von bestenfalls 1.300 Euro im Monat – und voraussichtlich eine Altersrente zwischen 400 und 700 Euro.

 

Gute Löhne führen zu guten Renten

Ähnliche Zukunftsängste plagen immer mehr Menschen, wenn sie ihre Rentenbescheide lesen. Wer heute für den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro arbeitet, kommt selbst nach 45 Jahren Vollzeit auf eine Rente unterhalb der Grundsicherung im Alter, also der Sozialhilfe für ältere Menschen. Es ist zu befürchten, dass zukünftig Millionen Neurentnerinnen und -rentner in Armut leben müssen.

Verantwortlich hierfür ist die Politik, die verschiedene Bundesregierungen in den vergangenen 15 Jahren zu verantworten haben (siehe Chronik). Das Ziel von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP war stets dasselbe: Die Arbeitgeber sollten entlastet, das Risiko der Altersarmut von den Beschäftigten geschultert werden. Dazu wurde der Arbeitgeberanteil an den Beiträgen zur Rentenversicherung niedrig gehalten, stattdessen sollten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer privat für den Ruhestand vorsorgen.

Sabine Heurs will sich nicht mit Altersarmut abfinden. Sie engagiert sich in der Gewerkschaft ver.di. Als Mitglied der Berliner VHS-Dozenten/Dozentinnenvertretung verlangt sie Festanstellungen zu Bedingungen wie angestellte Lehrkräfte an Schulen. »Erwachsenenbildung muss endlich genauso gut honoriert werden wie Arbeit an allgemeinbildenden Schulen«, sagt sie. Denn gute Löhne sorgen dafür, dass die Rente später zum Leben reicht.

Hans-Gerd Öfinger