Zum Hauptinhalt springen

Allein gelassen im Alleinerziehen

erschienen in Clara, Ausgabe 40,

Fast jede fünfte Familie in Deutschland ist eine Einelternfamilie. Darin leben über zwei Millionen minderjährige Kinder, zu 90 Prozent bei den Müttern. Eine Gleichstellung mit der tradierten Vater-Mutter-Kind-Familie ist nicht in Sicht. 

Es gibt Tage, da redet Alina Steinert nur ungern über das Alleinerziehen. Heute ist so ein Tag. Sie weint, ist traurig, vor allem erschöpft. Laut Papier ist sie seit fünf Jahren von ihrem Mann getrennt, die Erziehung aber – so die freiwillige Abmachung – sollte bei beiden Eltern bleiben. Im Alltag läuft es anders. Absprachen werden nicht eingehalten, feste Termine kurzfristig abgesagt, Unterhalt unregelmäßig bis gar nicht gezahlt. »Ich fühle mich als alleinige Vertragsnehmerin«, sagt Alina, »immer im Stress«. Sie fragt sich, »was hat sich eigentlich geändert seit ihrer Muttergeneration«? Und – allein erziehen sei doch »keine private Angelegenheit«.

Einelternfamilien sind längst eine gesellschaftliche Größe geworden. Im Jahr 2014 zählte das Statistische Bundesamt über 2.300.000 alleinerziehende Mütter und etwas mehr als 400 000 alleinerziehende Väter. Sie sind – neben kinderreichen Familien – am stärksten von Armut bedroht. Ein »Skandal«, findet Birgit Uhlworm, Geschäftsführerin von SHIA – Selbsthilfegruppen Alleinerziehender im Land Brandenburg. Die »Stärkung, Gleichstellung und Chancengleichheit« dieser Familienform hatte sich der Verein bereits 1991 bei der Gründung in die Satzung geschrieben. Jetzt, ein Vierteljahrhundert später, scheitert das Vorhaben nicht etwa wegen »fehlender Erkenntnis«, sagt sie, sondern »an der Umsetzung«.

Alleinerziehend – ein ewiges Rechnen

Seit vielen Jahren ist klar, was geändert werden müsste, damit die Situation für alleinerziehende Mütter und Väter und deren Kinder sich wirklich bessert: Verlängerung und Erhöhung des Unterhaltsvorschusses, kein Abzug des gesamten Kindergeldes oder zur Hälfte, weg mit Regelbedarfen, die nicht existenzsichernd sind, ein Kinderzuschlag, von dem Alleinerziehende wirklich profitieren und der nicht gegen den Unterhalt aufgerechnet wird (siehe auch Kasten). Die neueste Benachteiligung kam aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter der SPD-Frau Andrea Nahles. Sie wollte alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerinnen und -empfängern das dem Kind zustehende Sozialgeld um die Tage kürzen, die es beim anderen Elternteil verbringt. Das wären pro Tag neun Euro, und das in Familien, wo ohnehin jeder Cent dreimal umgedreht werden muss. Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, prangerte diese erhebliche Verschlechterung für Alleinerziehende bereits in der Parlamentsdebatte an, Familienverbände liefen Sturm dagegen, und so musste diese Regelung gekippt werden. Weg ist sie damit nicht, man »arbeite an einer neuen Lösung«, heißt es aus dem Nahles-Ministerium.

Wo bleibt der Respekt?

Was fehle, sei die »Wertschätzung«, sagt Birgit Uhlworm. »Es wird nicht wahrgenommen, dass Menschen tagtäglich für ihre Kinder da sind, sie betreuen, erziehen. Von Montag bis Sonntag allein die Verantwortung tragen, und danach geht die Woche wieder von vorne los«. Alleinerziehende seien »keine homogene Gruppe«. Viele sind hochqualifiziert, in Lohn und Brot, haben ein soziales Netz von Freunden und Eltern, die im Alltag unterstützend da sind. Andere arbeiten, können davon jedoch nicht leben, sind auf zusätzliche Leistungen angewiesen. Im Land Brandenburg beziehen 40 Prozent der Alleinerziehenden Hartz IV.

Alina Steinert hatte Glück, arbeitet Vollzeit. Das nimmt die finanzielle Existenzangst. Was bleibt, ist der tägliche Kraftakt bei der Vereinbarkeit von Familie, Haushalt, Beruf, Pubertäts- und Schulsorgen der Kinder. Was ihr hilft, sind Gespräche mit anderen Frauen. »Zu sehen, wie andere leben, sich gegenseitig stützen.« Sie will ihre Tochter und den Sohn »gut ins Leben begleiten«, ist auch stolz auf ihre Entscheidung, das »eigene Leben« in die Hände genommen zu haben. »Der Preis«, sagt sie, sei zwar hoch, und im Moment kämen auch »immer erst die Kinder und dann sie«, aber allein zu dritt leben sie ein gutes Familienleben.

Gisela Zimmer