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Alexis der Unbeugsame

erschienen in Klar, Ausgabe 25,

Es war ein großer Auftritt. Als Alexis Tsipras im Mai mit einem Tross von Presseleuten den Saal der Fraktion DIE LINKE betrat, feierten ihn die Abgeordneten minutenlang. Tsipras lachte und hielt die Hände über seinen Kopf wie ein Boxer, der einen Kampf gewonnen hat. Immer wieder flammte der Beifall auf.

Quasi über Nacht ist der 37-jährige Alexis Tsipras zu einem der bekanntesten Politiker Europas aufgestiegen. Als Vorsitzender des Linksbündnisses Syriza, Schwesterorganisation der Partei DIE LINKE, stellt er sich gegen das Griechenland verordnete Spardiktat. Er stemmt sich gegen eine Politik, die das Land in die tiefste Rezession seit Ende des Zweiten Weltkriegs gestürzt hat.

Auf den ersten Blick scheint es ein aussichtsloser Kampf zu sein – zu übermächtig die Gegner, die Finanzmärkte, die Banken, die Europäische Union (EU) und der Internationale Währungsfonds. Doch das Linksbündnis Syriza verhält sich wie das berühmte widerständige gallische Dorf, an dem sich die Römer einst in einem Comic die Zähne ausgebissen haben. Und der 37-jährige Alexis Tsipras, selbst begeisterter Comicleser, glänzt als ihr Asterix. Alexis, der Unbeugsame.

Denn seit Syriza bei den Wahlen am 6. Mai 2012 als zweitstärkste Kraft im griechischen Parlament landete, hat ihr Nein politisches Gewicht. Tsipras’ charismatische Erscheinung, seine Kunst, in wenigen Sätzen die Lage zu erklären, und sein Mut zum Nein brachten dem Bündnis neue Wählerinnen und Wähler. Denen blieb Tsipras bei den anschließenden Koalitionsverhandlungen treu: Er lehnte jeden Kompromiss ab, der bedeutet hätte, dass die gnadenlose Sparpolitik fortgesetzt werden muss. Tsipras’ Mut machte ihn zum Hoffnungsträger für eine andere Politik weit über die Grenzen Griechenlands hinaus.

Sein Weg zum gefürchteten Oppositionsführer begann in Athen. Dort gelang ihm bei der Bürgermeisterwahl im Oktober 2006 ein großer Erfolg. Er war auf den Straßen und suchte das direkte Gespräch mit den Menschen. Ein Einsatz, der sich lohnte: Tsipras heimste 10,5 Prozent der Stimmen ein.

Doch das ist kein Vergleich zur Wahl am 17. Juni 2012. Wahrscheinlich landet Tsipras an diesem Tag seinen größten Coup. So wie die Karten liegen, könnte Syriza dann zur Nummer eins im Parlament werden. An die 30 Prozent sollen laut Umfragen möglich sein. Die Kraft des Nein wirkt.

Die Kraft des Nein fürchten inzwischen viele in Europa, und sie fürchten, Tsipras könnte es ernst meinen. In einem Schreiben Anfang Mai an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hatte Tsipras die Kreditverträge mit der EU für »null und nichtig« erklärt. Mit dem Schuldendienst solle Schluss sein. Ansagen, die Wirkung zeigen.

Beim EU-Gipfel Ende Mai erklärte Van Rompuy, dass Griechenland in der Eurozone bleiben, aber doch bitte seine Verpflichtungen erfüllen solle. Es klang, als gäbe es Spielraum. Denn wie hoch der Preis ist, sollte Griechenland die Eurozone wirklich verlassen müssen, weiß niemand genau. Tsipras pokert. Bislang gekonnt, aber mit hohem Einsatz.

Dass das ein »schwerer Kampf« sei, gab Tsipras in seiner Rede vor der Fraktion DIE LINKE unumwunden zu. Diesen Kampf fechte Syriza aus, »auch im Namen der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer«. Man wolle die Völker glauben machen, kritisierte er, dass sie in eine Art Krieg miteinander verstrickt seien, doch das stimme so nicht. »Es ist ein Krieg, bei dem auf der einen Seite die Finanzmärkte, die Großanleger und Banken stehen und auf der anderen Seite die Völker Europas.« Tsipras der Unbeugsame will diesen Kampf nicht verlieren. Er weiß, was auf dem Spiel steht: die Demokratie, der Sozialstaat und die europäische Idee.

Ralf Knüfer