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"Hände weg vom Streikrecht!"

Rede von Klaus Ernst,

Wenn Sie die Tarifautonomie verteidigen und stärken wollen: Stärken Sie die Gewerkschaften!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schiewerling, das war sehr schön gesagt, auch der Schluss. Darauf, wie Sie das dann hinkriegen wollen, bin ich gespannt; ich komme gleich noch darauf zurück.

Meine Damen und Herren, wenn man hierzulande über das Streikrecht redet oder wenn man die mediale Berichterstattung darüber verfolgt, auch jetzt wieder, dann hat man den Eindruck, man habe es mit einer Naturkatastrophe zu tun, die nur noch von Tsunamis oder Hochwasser übertroffen wird. Ich möchte es noch einmal in aller Klarheit darstellen: Streik ist ein Grundrecht. - Das ist auch sehr schön gesagt worden.

Ein Blick in die Realität zeigt auch, dass in dieser Republik keineswegs zu viel gestreikt wird. Die Statistiken sind Ihnen doch auch zugänglich. Es gibt nur zwei Länder, in denen noch weniger gestreikt wird als hier, und das sind die Schweiz und der Staat Vatikanstadt.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Wir hätten also überhaupt keinen Grund, uns über die Streikhäufigkeit als Problem für unsere Ökonomie ernsthaft zu unterhalten, aber wir tun es.

Meine Damen und Herren, selbstverständlich werden immer die Gewerkschaften für Streiks verantwortlich gemacht. Warum eigentlich? Wer die betriebliche Realität kennt, der weiß, dass viel passieren muss, bevor ein Arbeitnehmer in Deutschland wirklich einmal streikt. Die Zahl der Streiktage beweist das auch. Das heißt, wenn ein Streik stattfindet, hat es vorher im Betrieb gekracht. Da hat ein Unternehmen einen großen Konflikt mit der Belegschaft. Der Konflikt kann um Löhne gehen, er kann um die Absenkung von Standards gehen - wie bei den Piloten - oder um Ähnliches. Aber in der Öffentlichkeit werden immer die Gewerkschaften für Streiks verantwortlich gemacht - Sie machen das auch -; das sind dann die Bösen.

Mir kommt das so vor wie bei einem Brand. Bei einem Brand kommt die Feuerwehr; das Haus wird nass und unbewohnbar. Da sagt doch keiner, die Feuerwehr sei schuld. Schuld ist vielmehr derjenige, der vorher gezündelt hat, hier vielleicht der Arbeitgeber, meine Damen und Herren. Insofern bitte ich um eine faire Betrachtung dessen, was Streik eigentlich ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Arbeitgeber sind bei Streiks im Übrigen immer in der besseren Situation: Sie müssen nicht streiken, um das zu kriegen, was sie wollen; sie haben es schon. Die Arbeitnehmer sind immer in der dummen Situation, dass sie den Arbeitgebern ein Stück weit das wieder nehmen müssen, was diese ihnen freiwillig nicht geben. Deshalb beim Streik und bei der Betrachtung desselben ein wenig Vorsicht!

Erst diskutieren wir, dass man die Tarifautonomie stärken muss. Beim Thema Mindestlohn hat das eine große Rolle gespielt. Jetzt diskutieren wir aber plötzlich ganz etwas anderes; wir diskutieren über die Einschränkung des Streikrechts. Meine Damen und Herren, ich war erschüttert über die Aussage von Frau Nahles im Zusammenhang mit Streiks von Spartengewerkschaften. Da sagte sie - Zitat -:

Das untergräbt den Zusammenhalt in unserem Land, und es legt die Axt an die Wurzeln der Tarifautonomie.

Was ist denn das für ein Unfug: „Wenn einer streikt, gefährdet er die Tarifautonomie“?

(Katja Mast (SPD): Hat sie doch gar nicht gesagt!)

Die Tarifautonomie ist geschützt. Sie wird durch einen Streik angewendet. Ich glaube, die Frau Nahles hat von Streiks wirklich null Ahnung; ansonsten kann man so einen Unfug nicht erzählen

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, jetzt sagen Sie - ich kann ja auch lesen - Folgendes: Das Streikrecht wird nicht eingeschränkt, sondern es wird geregelt, dass nur der Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft wirkt. Sie wissen aber selber, dass es rechtlich so ist, dass nur gestreikt werden darf, um einen Tarifvertrag zu erreichen. Wenn Sie das so regeln, bedeutet das im Ergebnis, dass Sie den Streik faktisch aushebeln. In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage haben Sie das folgendermaßen formuliert:

Das Recht, durch Arbeitskampfmaßnahmen den Abschluss eines Tarifvertrags zu erzwingen, ist von der Frage zu trennen, ob ein Tarifvertrag angewendet wird.

Respekt! Das wäre genauso, als wenn man sagen würde: Das Recht, vom Zehnmeterbrett in das Becken zu springen, ist von der Frage zu trennen, ob Wasser im Becken ist.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für wie blöd halten Sie eigentlich die Menschen in diesem Lande, meine Damen und Herren? Streikrecht ist ein Grundrecht!

Abschließend sage ich: Wenn Sie sich über die Zersplitterung von Tariflandschaften ernsthaft Gedanken machen wollen, dann sollten Sie sich mit Leiharbeit, Befristung und Werkverträgen beschäftigen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Katja Mast (SPD): Machen wir doch! - Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Ist doch keine Alternative!))

Es gibt eine große Zahl von Menschen, die in den gleichen Betrieben teilweise vollkommen andere Tarifverträge haben. Ich noch nie - auch nicht während Ihrer Regierungszeit - eine Initiative erlebt, mit der gefordert worden wäre, dass man das, bitte schön, wieder einheitlich regeln müsse. Jetzt, wo sich einige wehren und sich nicht mehr gefallen lassen, dass sie von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt werden, haben wir hier das große Geschrei.

Ich sage nur: Hände weg vom Streikrecht, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)