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Zwangsverrentung stoppen - Beschäftigungsmöglichkeiten Älterer verbessern

Rede von Klaus Ernst,

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Schiewerling, eines müssen Sie mir jetzt erklären, weil ich die Logik einfach nicht verstehe.

(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Sie verstehen keine Logik!)

Sie stellen sich hier hin und sagen, Sie seien gegen die Frühverrentung von Menschen. Gleichzeitig sind Sie aber dafür, dass man Menschen mit 63 Jahren - Frauen gegebenenfalls mit 60 Jahren - in die Rente zwingt. Was ist das anderes als eine Frühverrentung? Es werden doch Menschen in die Rente geschickt, ohne dass sie das wollen. Das hat keine Logik mehr.

Im Übrigen zu Ihrer Rechnung: Ich weiß nicht, wie Sie rechnen, aber ich kann Ihnen sagen, wie wir rechnen, und ich glaube, diese Rechnung ist nicht zu widerlegen. Schauen Sie sich einmal an, was ein 63-jähriger Empfänger von Arbeitslosengeld II erhält. Es sind 670 Euro. Wenn er im Vergleich dazu Rente in Höhe von 1 000 Euro erhält, hat er tatsächlich natürlich mehr. Selbst bei einem Abschlag von 7,2 Prozent hätte er noch 928 Euro. Insofern stimmt es natürlich, dass er mehr hätte. Er ist aber länger Rentner; das hoffen wir zumindest. Herr Schiewerling, wenn er zehn Jahre lang Rentner ist, dann schaut die Rechnung anders aus. Dadurch, dass er Abschläge hinnehmen muss, erhält er in zehn Jahren 8640 Euro weniger. Demgegenüber stehen die 6192 Euro, die er vorher mehr hatte, wenn er früher in Rente geht. Insgesamt hat er also weit über 2000 Euro weniger. Ich sage Ihnen: Genau das machen Sie mit den Beziehern von Arbeitslosengeld II. Es wundert mich natürlich, dass der vorliegende Gesetzentwurf ausgerechnet von den Sozialdemokraten mit verursacht wurde.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Dieser Gesetzentwurf führt dazu, dass Empfänger von Arbeitslosengeld II, die schon dadurch benachteiligt sind, dass sie keinen Job haben und dass ihr Vermögen angerechnet wird - Sie kennen das -, insbesondere dann, wenn sie lange versichert waren - 35 Jahre -, in die Rente gezwungen werden, ohne dass sie das wollen.
Kollege Schaaf, man kann jetzt natürlich über den Titel streiten. Aber es ist faktisch Zwangsverrentung, wenn Leute, ohne dass sie es wollen, in Rente geschickt werden.
Was ist das anderes als Zwangsverrentung? Freiwillig ist das nicht, Kollege Schaaf.

(Beifall bei der LINKEN)

Eines möchte ich auch noch einmal deutlich machen. Ich freue mich ja, dass die Sozialdemokratie zurzeit darüber nachdenkt, was an ihrer Agenda falsch war. Ich freue mich, dass sie über die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I nachdenkt. Ich freue mich auch, dass sie über die Rente mit 67 nachdenkt. Ich frage mich nur immer, wozu das Nachdenken bei euch führt. Ihr denkt ja nicht allein nach; auch euer Minister denkt nach, und er denkt leider immer in die andere Richtung.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Widerspruch bei der SPD)
Ich hoffe, dass ihr diesbezüglich eine Einigung in der sozialdemokratischen Partei findet - (Rolf Stöckel [SPD]: Populismus!)

- ja, das, was wir sagen, ist immer Populismus, und ihr seid die blühende Weisheit; das ist ja bekannt - und wenigstens diesen einen Punkt - da fällt euch ja kein Zacken aus der Krone - so regelt, dass ihr wieder ein wenig Ansehen bei den Bürgern dieses Landes habt. Wenn ihr euch eure Umfragen anschaut, dann seht ihr, dass sie im Keller sind.

(Wolfgang Grotthaus [SPD]: Schön, dass ihr euch Sorgen darüber macht!)

Ich habe Verständnis dafür und es ist richtig, dass ihr jetzt darüber nachdenkt, was an der Agenda 2010 falsch war; das ist in Ordnung. Aber dann nehmt doch, bitte schön, die Punkte, die wirklich nicht so besonders teuer sind, in Angriff. Weniger als 200 000 Leute zwischen 60 und 65 Jahren haben im Sommer 2007 Arbeitslosengeld II bezogen. Wenn ihr euch jetzt entschließt, diese kleine Gruppe von Menschen, die von dieser Regelung unmittelbar negativ betroffen ist, ohne Abschläge in Rente gehen zu lassen, dann habt ihr innerhalb von zwei Jahren wenigstens einmal etwas Vernünftiges gemacht.

(Beifall bei der LINKEN - Rolf Stöckel [SPD]: Unsinn!)

Ich gehe aber davon aus, dass dieses Denken nicht automatisch zum richtigen Ergebnis führt. Wir werden euch daran messen. Nur wenn es eine starke Linke gibt, wird die Sozialdemokratie wieder ansatzweise sozialdemokratisch werden.

(Beifall bei der LINKEN