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Zusammenarbeit mit Erdogan beenden

Rede von Sevim Dagdelen,

Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU und FDP "Aktuelle Situation in der Türkei"

 

Vizepräsident Eduard Oswald:

Vielen Dank, Kollege Ruprecht Polenz. ‑ Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist unsere Kollegin Frau Sevim Dagdelen. Bitte schön, Frau Kollegin Dagdelen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Polenz, ich kenne Sie aus dem Auswärtigen Ausschuss als einen sehr integeren Vorsitzenden; aber eines muss ich Ihnen ‑ auch angesichts der Rede meines Kollegen Kahrs ‑ schon sagen: Ihre Illusion über die Türkei verstellt Ihnen den Blick für die Realität. Die Realität ist eben nicht so, dass es dort Dinge wie Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit gibt. All das gibt es nicht in der Türkei. Deshalb gehen dort seit fast zwei Wochen Hunderttausende Menschen auf die Straße. Diese jedoch begegnen einem Polizeiterror bzw. einem staatlichen Terror. Das muss meines Erachtens Konsequenzen haben. Sie sollten Politik nicht an Illusionen ausrichten, sondern an der Realität in der Türkei ist.

(Beifall bei der LINKEN - Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat er nun wirklich nicht gesagt!)

Der Polizeiterror auf Befehl des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan hat gestern einen traurigen Höhepunkt erreicht. Wir alle zusammen sollten hier im Bundestag ein Zeichen dagegen setzen und sagen: Herr Erdogan, stoppen Sie diesen staatlichen Terror gegen die Demonstranten. ‑ Wir als Linke sind mit der Protestbewegung und den Demonstranten, die für Freiheit, Rechtsstaat und soziale Gerechtigkeit auf die Straße gehen, solidarisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Nachdem es bisher nicht gelang, diese vielfältige, bunte, junge, breite und dynamische Protestbewegung durch staatlichen Terror verstummen zu lassen, sollen jetzt die einzig noch verbliebenen regierungskritischen Fernsehsender mundtot gemacht werden. Ihr Vergehen ist es, dass sie über den Protest der letzten 14 Tage berichtet haben. Dafür soll es jetzt Geldstrafen geben. Ich finde das unerträglich. An dieser Stelle muss auch ein klares Signal an Erdogan gesendet werden, dass dieser Unterdrückungsstaat ‑ der mittlerweile ein islamistischer Unterdrückungsstaat ist ‑ auch vom Deutschen Bundestag verurteilt wird.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf des Abg. Ruprecht Polenz (CDU/CSU))

Auch von Minister Westerwelle sind hier wohlfeile Appelle in dem Sinne ergangen, dass in der Türkei jetzt endlich die rechtsstaatlichen Normen umgesetzt werden müssten. Das alles finde ich ganz toll. Politikerinnen und Politiker werden aber nicht nur an dem gemessen, was sie sagen, sondern auch an dem, was sie tun. Was macht die deutsche Bundesregierung? Diese deutsche Bundesregierung kooperiert polizeilich, militärisch und geheimdienstlich mit der Türkei. Das ist meines Erachtens angesichts dieser harschen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei unverantwortlich. Diese Kooperation mit der AKP-Regierung ‑ das sagt die Linke ganz klar ‑ muss beendet werden. Es müssen Konsequenzen folgen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Menschen in der Türkei gehen nicht nur gegen eine Politik im Stil eines autoritären Neoliberalismus auf die Straße, sondern auch gegen die Privatisierungspolitik. Bei ihnen handelt es sich nicht nur um Mitglieder der Bürgergesellschaft, sondern das ist eine ganz breite Protestbewegung, die Linke ebenso wie Nationalisten einschließt. Sie sind gegen die islamistische Gängelung durch den Tugendterror der AKP.

Bei meinem Besuch der Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park letzte Woche konnte ich erfahren, dass auch sie Sehnsucht nach Frieden haben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie möchten Frieden in der Türkei und eine auf Frieden zielende Außenpolitik. Sie wollen keinen Krieg gegen Syrien, und sie verurteilen die Unterstützung Erdogans für die al-Qaida-Milizen in Syrien.

Deshalb stehen wir solidarisch hinter dieser Protestbewegung. Die Bundesregierung wie auch die SPD und die Grünen sollten diese gefährliche Militärpolitik des Systems Erdogan nicht mehr unterstützen. Deshalb sagt die Linke ‑ dabei spricht sie auch für die Protestbewegung ‑: Ziehen Sie endlich die Bundeswehr und die Patriot-Raketen aus der Türkei ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesregierung darf nicht länger wegschauen, meine Damen und Herren. Wir dürfen die Demonstranten nicht länger alleine lassen. Auch dürfen wir das autoritäre AKP-Regime für den Amoklauf gegen Demokratie und Menschenrechte nicht noch belohnen. Es ist doch skandalös, dass die EU ‑ auch Sie wollen das ‑ neue Beitrittskapitel eröffnen möchte. Die Menschen, mit denen ich gerade noch telefoniert habe ‑ das sind die Sprecherinnen und Sprecher der auf dem Taksim-Platz demonstrierenden Solidaritätsbündnisse ‑, sagen: Das ist eine Bestrafung der Bevölkerung, ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die dort für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und soziale Gerechtigkeit protestieren. Ja, Sie belohnen die AKP-Regierung damit sogar;

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach, was für ein Unsinn!)

denn Erdogan geht gestärkt aus dieser Situation hervor, wenn die EU, wie er sagt, jetzt auch noch weitere Beitrittskapitel aufmacht.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Gegenteil ich richtig!)

Die Linke sagt: Angesichts dieser massiven systematischen Menschenrechtsverletzungen müssen die Beitrittsgespräche ausgesetzt werden, Herr Westerwelle. Diese autoritäre AKP-Regierung darf nicht auch noch belohnt werden. Das ist die Antwort der Linken auf diese autoritäre AKP-Politik.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Einzige, der Ihnen zustimmen wird, ist der Kollege Silberhorn!)

Lassen Sie mich dem Bundestag zum Schluss noch einen Vorschlag machen. Ich sage Ihnen: Solidarität muss sich in konkreten Handlungen ausdrücken. Es darf nicht nur bei einem wohlfeilen Appell bleiben. Lassen Sie uns gemeinsam als Deutscher Bundestag an diesem Wochenende eine parlamentarische Delegation in die Türkei entsenden, die mehr Öffentlichkeit herstellt und sich dafür einsetzt, dass endlich statt der Gewalt ein tatsächlicher, wirklicher Dialog mit den Protestierenden und nicht mit den AKP-nahen Organisationen eröffnet wird. Lassen Sie uns das tun! Dies wäre ein Schritt in die richtige Richtung und Ausdruck der praktischen Solidarität mit den Demonstranten. Die Linke ist jedenfalls bereit für diesen konkreten Schritt als Ausdruck unserer Solidarität.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)