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Zum Sorgerecht unverheirateter Eltern

Rede von Barbara Höll,

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Granold, wenn wir hier über das Sorgerecht debattieren, dann geht es nicht an, dass Sie die vielen Millionen Alleinerziehenden in der Bundesrepublik de facto diskriminieren:
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Was? Das hat doch gar keiner gemacht!)
Ein Kind braucht für eine gedeihliche Entwicklung Mutter und Vater.
Es ist gut, wenn Mutter und Vater Verantwortung übernehmen, aber Millionen Kinder wachsen derzeit bei dem alleinerziehenden Vater oder der alleinerziehenden Mutter auf bzw. sind dort gut und gedeihlich aufgewachsen. Diese haben sicher oftmals mit Schwierigkeiten zu kämpfen, aber sie haben auch ihre jeweiligen sozialen Netze gebildet. Das war eine gedeihliche Entwicklung. Das darf man hier also nicht einfach diskriminieren. Es ist nicht defizitär.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich glaube, wir sind uns einig, dass es nicht angehen kann, dass die Übernahme des Sorgerechts durch den Vater am Veto der Mutter scheitert. Hier herrscht eine wirkliche Einigkeit im Hause.
Unterschiede gibt es hinsichtlich der Frage, wie trotz der Konfliktsituation, dass Mutter und Vater sich nicht einigen, tatsächlich eine gemeinsame Verantwortungsübernahme organisiert werden kann. Klar ist: Es ist eine Schwierigkeit vielleicht die Hauptschwierigkeit für alleinerziehende Väter und Mütter, dass sie bei aller Beratung, die man sich suchen kann, letztendliche Entscheidungen stets allein treffen müssen.
Trotzdem finde ich es richtig, dass der jetzt vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, dass das Sorgerecht nach der Geburt grundsätzlich erst einmal der Mutter zuzuordnen ist, wenn die Aufteilung unklar ist, wenn also keine Einigkeit zwischen den Eltern erzielt wird; denn die Mutter ist ab Geburt nun einmal eine zuverlässige und sichere Bezugs- und Entscheidungsperson. Das braucht das Kind.
Der vorliegende Entwurf enthält aus meiner Sicht die ebenfalls richtige Regelung, dass der Vater aktiv werden muss, wenn er die elterliche Verantwortung für das Kind übernehmen will; denn schließlich setzt die gemeinsame Sorge bei beiden Elternteilen die tatsächliche Bereitschaft voraus, nicht nur Rechte herleiten zu wollen, sondern auch Pflichten gegenüber dem Kind zu übernehmen, also Verantwortung zu tragen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung im Juni 2010 festgelegt, dass zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung das geltende Recht mit Maßgaben so umzuändern ist, dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam überträgt, soweit zu erwarten ist, dass das dem Kindeswohl entspricht.
Hier sind Sie eindeutig von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes abgewichen. Sie als Gesetzgeber schlagen jetzt vor, dass eine negative Kindeswohlprüfung ausreichend ist, das heißt also, wenn es dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das, finde ich, ist ein großer Unterschied. Es ist mir bisher auch in den Beiträgen nicht klar geworden, warum Sie das als Vereinfachung empfinden. Kinder sind das höchste Gut, das wir haben. Wir müssen alles dafür tun, um Bedingungen für eine gute Entwicklung des Kindes zu schaffen, dass die Situation also dem Kindeswohl entspricht. Eine Negativdefinition ist einfach zu wenig.
Das schriftliche Schnellverfahren, welches Sie jetzt einführen wollen, hat bereits zu sehr viel Bewegung geführt. Ich möchte darauf hinweisen, dass nicht einfach nur einige Abgeordnete der Meinung sind, dass ohne Beratung, einfach aufgrund der Aktenlage eine Entscheidung des Gerichtes nicht im Interesse der Kinder ist. Ich möchte auf die Massenpetition verweisen, die vom Aktionsbündnis der Katholischen Frauengemeinschaft, des Sozialdienstes katholischer Frauen, der Arbeitsgemeinschaft für allein erziehende Mütter und Väter im Diakonischen Werk der EKD, des Deutschen Juristinnenbundes, der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen, des Familienbundes der Katholiken gemeinsam getragen wird. Breit über gesellschaftliche Schichten hinweg gibt es äußerst große Bedenken gegen dieses Schnellverfahren, weil wir über Situationen reden, in denen Menschen erst einmal nicht miteinander klarkommen.
Bedenken Sie bitte Folgendes: Schwangerschaft und Entbindung sind natürliche Vorgänge. Die Mutter ist nach der Entbindung nicht krank. Aber sie hat damit zu tun, ihr Leben neu zu organisieren. In sechs Wochen justitiabel nachzuweisen, warum die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht, ist einfach für viele eine Überforderung. Ich weiß nicht, ob wir hier im Haus alle in der Lage sind, sofort einen justitiablen Schriftsatz aufzusetzen. Ich denke, da wären wir überfordert.
Was ist denn das Kindeswohl? Ich finde, das ist wirklich problematisch: Wir reden hier über das Sorgerecht. Die daraus erwachsenden Pflichten sind aber im Weiteren nicht definiert.
(Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das steht doch im Entwurf!)
Es gibt das Recht auf Unterhalt, der gezahlt werden muss. Gut. Aber es ist nirgends einklagbar, dass zum Beispiel ein Vater den Umgang wahrnimmt, dass er tatsächlich zu einer verlässlichen Bezugsperson für sein Kind wird. Das kann auch eine alleinerziehende Mutter derzeit nicht einklagen.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Haben Sie das Gesetz nicht gelesen?)
Deshalb ist es richtig, hier die Vorschläge aufzunehmen, nach denen es in solchen Konfliktsituationen absolut notwendig ist, dass erst einmal eine Aufklärung erfolgt: Was ist einerseits mit der Übernahme des Sorgerechts verbunden? Wie kann man das andererseits gestalten? Das ist hier noch nicht erwähnt worden. Was heißt das denn ganz praktisch? Sie wollen für das Kind ein Sparbuch anlegen. Dafür brauchen Sie die Unterschrift des zweiten Sorgeberechtigten. Die 17-jährige Tochter will den Führerschein vor Vollendung des 18. Lebensjahres machen. Dafür brauchen Sie die Unterschrift des anderen Sorgeberechtigten. Das Kind soll auf Klassenfahrt gehen. Dafür brauchen Sie die zweite Unterschrift.
(Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist das Problem?)
Bei Situationen des täglichen Lebens muss man sich doch einig sein und wissen: Ich übernehme diese Sorge. Das heißt aber auch: Ich muss im Zweifelsfall zur Verfügung stehen, um zum Beispiel eine Unterschrift zu leisten. Der andere verhält sich noch nicht einmal unbedingt böswillig, aber er muss einfach da sein.
Ein gemeinsames Sorgerecht soll im besten Fall so sein, dass man auch dann, wenn man als Elternteile vielleicht nichts mehr miteinander zu tun hat, gemeinsam berät und gemeinsam entscheidet: Was ist für die Entwicklung des Kindes richtig? Diese Entscheidung sollte man in dem Bewusstsein treffen, dass es durchaus Probleme geben kann, zum Beispiel bei der Schulwahl. Auch wenn es in meiner Fraktion, was die Ansätze betrifft, unterschiedliche Auffassungen gibt, ob es eine automatische Übertragung des Sorgerechts bei Vaterschaftsanerkennung geben sollte oder nicht -
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
mein letzter Satz , sind für uns tatsächlich Beratung, Mediation, die unbedingt notwendige Einschaltung des Jugendamtes und die Anhörung der Eltern entscheidend.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)