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Zum Bericht der Enquetekommission "Kultur in Deutschland"

Rede von Lukrezia Jochimsen,

Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Gäste! Liebe Kollegen Sachverständige!
(Volker Kauder (CDU/CSU): Liebe Fernsehzuschauer!)

Insbesondere lieber Professor Kramer als Mitstreiter! Ich kann mich dem Dank, den Herr Ehrmann gerade allen an der Arbeit der Enquete-Kommission beteiligten Bereichen ausgesprochen hat, nur anschließen, und möchte ihn auf unsere Fraktionsreferentin Frau Dr. Annette Mühlberg ausdehnen. Auch ich hätte nicht gewusst, wie ich als Späteinsteiger in diese Kommission die Arbeit überhaupt hätte bewältigen können, wenn es nicht die Möglichkeit eines fundierten Wissens und einer Zuarbeit gegeben hätte.
(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir Ihnen heute vorlegen, sind keine Botschaften aus dem Elfenbeinturm, sondern ist die Zustandsbeschreibung unseres reichen und vielfältigen Fundamentes Kultur, auf dem unsere Gesellschaft und gerade auch die Qualität unserer Demokratie beruhen. Ich finde, das dürfen wir nie aus den Augen verlieren. Diese Zustandsbeschreibung handelt von Glanz, aber gleichermaßen auch von Elend.
Glanzvoll ist die Liste der Theater, Denkmäler, Bibliotheken, Museen, Orchester, Chöre, Tanzgruppen und der Tausenden Einrichtungen und Gruppierungen freien bürgerlichen Engagements in Sachen Kultur. Glanzvoll ist auch das Aufkommen des Wirtschaftszweiges Kultur, eines Beschäftigungssektors mit hohen Wachstumsraten und großer Zukunft. Lieber Herr Kollege Ehrmann, dass wir hier in Zukunft genauer hinschauen müssen, ist unbestritten.
Elend sind hingegen die Einkommen der meisten Künstler und Kulturschaffenden in Deutschland. Im Durchschnitt verdienen sie gerade einmal 11 000 Euro pro Jahr, die Mehrheit verfügt über kein regelmäßiges Einkommen, und es ist ihnen kaum möglich, eine Alterssicherung aus ihren Einnahmen zu finanzieren. Das gilt nach wie vor, obwohl die Umsätze und Gewinne der Branche gestiegen sind und weiter steigen. Die Kreativen haben aber keinen Anteil daran. Von Leistungsgerechtigkeit keine Spur!
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU))

Aus unserer Sicht muss der Staat an dieser Stelle gegensteuern, und zwar mit einer Stärkung des Urheberrechts - das wurde bereits angesprochen -, damit die Einnahmen tatsächlich den Urhebern zugute kommen und die Zeit für künstlerische Arbeit in der Rentenversicherung flexibel angerechnet werden kann.
(Jörg Tauss (SPD): Urhebervertragsrecht!)
Zur elenden, ja jämmerlichen Seite der Zustandsbeschreibung der Kultur in Deutschland gehört zweitens, dass ihr Reichtum und ihre Vielfalt an etlichen Stellen bereits Spuren von Abbau und Rückbau aufzeigen. Ein trauriges Beispiel dafür sind die Theater in Thüringen. Das gilt aber nicht nur für sie. Deshalb ist es wichtig, dass die Förderung von Kunst und Kultur im Bericht als Pflichtaufgabe des Staates herausgestellt wird. Kultur muss als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich stehe auf der Seite all derer, die gesagt haben, dass es Zeit ist, nicht länger nur die Lippen zu spitzen, sondern auch zu pfeifen. Das rot-rote Berlin und das vormals rot-rote Mecklenburg-Vorpommern, sind übrigens die einzigen Bundesländer, die das bereits beschlossen haben.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Was daraus geworden ist, sieht man an Berlin!)

Aus unserer Sicht muss die Kompetenz des Bundes für die Kultur weiter gestärkt werden, zum Beispiel um unsere Bibliotheken zu retten. Der Kollege Ehrmann hat das gerade vorgetragen. Der Bundespräsident hat dieses Elend in einer bewegenden Rede zur Wiedereröffnung der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar genau benannt:
Noch kann man sagen: Bibliotheken bilden in Deutschland ein flächendeckendes Netz.
Er sagte aber auch:
Auf dem Land ist das Netz öffentlicher Bibliotheken zum Teil ziemlich dünn und in manchen Gegenden kann man von einem regelrechten Bibliothekssterben sprechen. Nur etwa 15 Prozent der Schulen
ich bitte Sie: 15 Prozent der Schulen in Deutschland
verfügen über eine eigene Bibliothek …
Sein Fazit lautet: In Deutschland fehlt „ im Gegensatz zu den erfolgreichen PISA-Ländern die strategische Verankerung der Bibliotheken als Teil unserer Bildungsinfrastruktur.“ Er sagt, dass diese „heute weder auf Länderebene noch in der Politik des Bundes in ausreichendem Maße anzutreffen“ sind. „Bibliotheken gehören deshalb in Deutschland auf die politische Tagesordnung.“
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gitta Connemann (CDU/CSU))

Die Enquete-Kommission sieht das genauso. Allerdings unternimmt sie nicht den aus unserer Sicht entscheidenden Schritt. Sie fordert kein Bundesbibliotheksgesetz, um den Bestand unserer Bibliotheken, die es noch gibt, zu retten. Zu einer Reform der Kompetenzverteilung gehört nach unserer Vorstellung auch es wird Sie vielleicht wundern, dass die Linke das fordert die Ernennung eines Bundeskulturministers mit eigenständigem Ministerium, damit Kultur im Kabinett und auf europäischer Ebene gleichberechtigt vertreten ist.
(Beifall bei der LINKEN)

Die Kommission hat umfangreich, ausführlich, präzise und konkret gearbeitet und sich dabei auf vielerlei Sachverstand gestützt. Mir erscheint es aber als ein Elend, dass die Kommission nicht bereit war, sich angemessen mit den kulturellen Folgen der deutschen Teilung zu befassen. Die Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass Kultur in Deutschland 40 Jahre lang in zwei Gesellschaften geschaffen, gefördert, gefeiert, kritisiert, ja, auch unterdrückt wurde, dass es zwei Kulturen gab, und zwar nicht parallel nebeneinander, sondern ganz bewusst gegeneinander positioniert, und diese Tatsache Folgen hat, bis auf den heutigen Tag, und zwar ebenso im Bewusstsein der Menschen wie für unsere kulturelle Infrastruktur, wäre des Schweißes der Edlen wirklich wert gewesen.
(Beifall bei der LINKEN)

Wir meinen, dass die bis heute festzustellenden mentalen Unterschiede zwischen Ost und West eine Herausforderung für die Kulturpolitik sind. Dabei geht es nicht darum, sie zu überwinden, sondern vielmehr darum, sie als Chance zu nutzen.
(Beifall bei der LINKEN)

Die Chance, die beiden Schulsysteme von DDR und Bundesrepublik in ihrer Unterschiedlichkeit zu nutzen, haben wir sträflich versäumt. Mit dem Erbe der beiden Kulturen sollten wir anders umgehen, auch und gerade nach der Veröffentlichung dieses Berichts.
Insgesamt halten wir den Bericht für eine notwendige Grundlage unserer weiteren Arbeit für die Kultur. Er entstand nicht im Elfenbeinturm, und er handelt nicht von Luxus, Dekoration oder Überfluss, sondern von den Überlebensnotwendigkeiten unserer Gesellschaft.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Steffen Reiche (Cottbus) (SPD))